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Schafft ein, zwei, ganz viele Stuttgarts! Integration ist machbar

Im Blickpunkt
Von Dr. Heino Klingen

08.02.2016

Die Flüchtlingsfrage droht unsere Gesellschaft zu spalten. Eine bessere Sicherung der EU-Außengrenzen ist deshalb genauso wichtig wie eine forcierte Integration der Flüchtlinge. Ein Wegfall der offenen Grenzen in Europa würde das Saarland indessen teuer zu stehen kommen.

Was in Stuttgart geht, muss auch anderswo machbar sein: Die Integration von Migranten in unsere Gesellschaft. Wer also nach einem Anschauungsbeispiel für gelungene Integration sucht, der sollte den Blick nach Stuttgart richten.

Anzuraten ist er allzumal. Schon weil 40 Prozent aller Stuttgarter einen Migrationshintergrund haben, die Jugendarbeitslosigkeit unter Migranten hier kaum höher liegt als unter Deutschen und jede dritte Existenzgründung in Stuttgart keinen deutschen Stammbaum hat. Besonders erfreulich ist, dass immer mehr Migrantenkinder einen Kindergarten besuchen. Das zeigt, wie offen und aufgeschlossen unsere ausländischen Mitbürger dort unsere Bildungsangebote annehmen. Sie signalisieren damit, dass sie dauerhaft bleiben wollen und dass ihre Kinder sich hier ihre Zukunft aufbauen sollen. Mit all dem soll nicht gesagt sein, dass es in Stuttgart gar keine Integrationsprobleme gibt. Alles andere wäre auch zu schön, um wahr zu sein. Aber: Parallelgesellschaften wie in anderen deutschen Großstädten sind in Stuttgart eher Ausnahme als Regel.

Natürlich haben die wirtschaftliche Stärke und der fast schon notorische Mangel an qualifizierten Arbeitskräften im Umfeld der schwäbischen Metropole einen gehörigen Anteil daran, dass die Integration dort besser klappt als in anderen Regionen. Denn Arbeit ist ein wesentliches Element für eine erfolgreiche Integration. Sie ist der Ankerpunkt, um den herum Zugereiste ihr neues Leben gestalten können. Deshalb gilt: Je schneller und besser es gelingt, Migranten in Arbeit zu bringen, desto größer sind deren Chancen für ein geglücktes Leben in der neuen Heimat.

In Stuttgart hat man dieser Einsicht frühzeitig Taten folgen lassen. Dadurch, dass alle lokalen und regionalen Akteure an einem Strang gezogen haben – Stadtverwaltung, Jobcenter, Wirtschaftsförderung und Weiterbildungsträger. Als große Hilfe haben sich dabei aber auch zahlreiche private Initiativen erwiesen, von Lern- und Lesepaten bis hin zu Sponsoren und Stiftungen.

Die Stuttgarter Verhältnisse lassen sich zwar nicht 1:1 auf andere Städte und Regionen übertragen. Aber Stuttgart macht Mut. Integration kann gelingen. Nämlich dann, wenn
  • die Wirtschaft zum Integrationskern und -treiber wird,
  • die Politik offensiv auf Integration setzt und integrationsfördernde Maßnahmen ergreift und
  • eine zupackende Ehrenamtskultur in die Gesellschaft hineinwirkt und engagierte Mitbürger Aufgaben übernehmen, die der Staat nicht zu leisten vermag.
Das Bemerkenswerte am Stuttgarter Vorbild ist, dass sich die Integration in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext vollzogen hat, der eher hinderlich war. Bis zur Jahrtausendwende hat Deutschland sich mental und offiziell dagegen gesperrt, Einwanderungsland zu sein. Faktisch waren wir das zwar seit Anfang der 60er Jahre, aber erst seit der Jahrtausendwende haben wir diese Rolle offensiv angenommen. Heute ist weitgehend akzeptiert, dass wir Zuwanderung brauchen – bundesweit, vor allem aber im Saarland. Schließlich fehlen hierzulande gegenüber dem Status quo bis 2030 über 100.000 Personen im erwerbsfähigen Alter.

Das Saarland zum Musterland der Integration machen

Das Saarland hat gute Voraussetzungen, ebenfalls ein Musterbeispiel gelungener Integration zu werden. Eine tolerante und hilfsbereite Bevölkerung ist den Flüchtlingen eine große Stütze im Umgang mit alltäglichen Dingen wie Behördengängen oder Arztbesuchen. Die sprichwörtlichen „kurzen Wege“ verringern außerdem den Verwaltungsaufwand und ermöglichen rasche Entscheidungen. So hat das Saarland die schnellste Bearbeitungszeit von Asylanträgen. Sechs bis acht Wochen nach Registrierung können Flüchtlinge bei uns ihren Antrag stellen, über den dann in zwei bis drei Monaten entschieden wird. In anderen Bundesländern dauert dieser Prozess meist doppelt so lange. Künftig soll es im Saarland noch schneller gehen. Für Anfang März ist die Einrichtung einer gemeinsamen Behörde von Landesverwaltungsamt und BAMF vorgesehen.

Schnelle Verfahren sind deshalb so wichtig, weil sie einen früheren Beginn von Sprachkursen und eine raschere Arbeitsaufnahme ermöglichen. Sinnlose Zeit, in der nicht nur Flüchtlinge auf dumme Gedanken kommen könnten, wird so vermieden.

Gute Sprachkenntnisse und eine geregelte Beschäftigung sind notwendige Voraussetzungen einer echten und nachhaltigen Integration. Mindestens genauso wichtig sind aber auch dezentrale und arbeitsplatznahe Wohnangebote. Denn ob die Zuwanderer und ihre Kinder dauerhaft Fremde bleiben oder nicht, hängt ganz wesentlich davon ab, in welcher Umgebung sie wohnen – in extra für sie errichteten Wohneinheiten ohne Kontakt zur einheimischen Bevölkerung oder in gemischten Gebieten, wo sie in Sportvereinen, Feuerwehren und anderen Organisationen Anschluss finden und ihre Kinder auf Spielplätzen, in Kitas und Schulen die Sprache ihrer neuen Heimat aufschnappen und lernen. Letzteres ist der erfolgversprechendere Weg.

Auf diesem Weg leistet das Saarland schon viel. Ein 10-Millionen-Euro-Programm steht zur Verfügung. Im vergangenen Jahr wurden die Fördermittel voll ausgeschöpft. Diese Mittel tragen auch dazu bei, schon länger anhaltende Leerstände zu beseitigen und den ein oder anderen eher tristen Ortskern zu revitalisieren.

Die Sache hat allerdings einen Haken. Wohnraum gibt es im ländlichen Raum bei uns im Saarland zwar genug. Zumindest deutet die vergleichsweise hohe Zahl von 20.000 leerstehenden Wohneinheiten darauf hin – auch wenn die Gebäude nicht alle in einem Zustand sind, der einen Sofortbezug erlaubt. Doch es mangelt in den nun schon seit Jahren vom Bevölkerungsschwund gezeichneten Gemeinden an einer ausreichenden Zahl an Arbeitsplätzen und Ausbildungsstellen. Um unter diesen Bedingungen die Migranten dennoch nach Abschluss ihres Asylverfahrens und Aufhebung ihrer Residenzpflicht vor Ort halten zu können, sollte deren Mobilität durch Fahrtkostenzuschüsse zum Arbeitsplatz gefördert werden.

Grenzkontrollen schaden der Saarwirtschaft

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wie viele Flüchtlinge unser Land noch aufnehmen kann. Objektiv wird man diese Grenze wohl nie bestimmen können. Stimmungen insbesondere nach den Kölner Ereignissen lassen aber befürchten, dass unser Land auf eine gesellschaftliche Zerreißprobe zusteuert. Deshalb ist es dringend erforderlich, den Zustrom zu verringern, ohne Menschen in Not zurückzuweisen.

Die EU hat sich diesbezüglich bereits Ende des vergangenen Jahres mit der Türkei darüber verständigt, die Fluchtbewegungen deutlich zu reduzieren. Allerdings fehlt es immer noch an einer Umsetzung dieser Beschlüsse. Der Zufluss ist weiterhin hoch. Insofern ist es ein Stück weit verständlich, dass einzelne Länder dazu übergegangen sind, ihre Grenzen temporär wieder zu kontrollieren.

Doch lassen wir uns nicht täuschen. Was als vorübergehende Maßnahme gedacht ist und auf den ersten Blick nur wie eine Einschränkung der Reisefreiheit im Schengen-Raum aussieht, könnte faktisch der Beginn eines U-Turns sein – weg von der europäischen Integration hin zum Nationalstaat. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat deshalb schon gewarnt, dass ohne Freizügigkeit im Schengen-Raum auch der Euro keinen Sinn mache.

Mit oder ohne Euro – Grenzkontrollen hätten für die Saarwirtschaft in jedem Fall gravierende Folgen. In den grenznahen Städten und Gemeinden zu Lothringen und Luxemburg käme ein Ende von Schengen vor allem den Handel sehr teuer zu stehen – insbesondere in der Landeshauptstadt, in der nicht wenige Händler einen großen französischen Kundenstamm haben, wäre mit deutlichen Umsatzeinbußen zu rechnen. Einen spürbaren Frequenzschwund hätte wohl auch das Thermalbad in Rilchingen zu befürchten.

Als besonders nachteilig dürften sich die Grenzkontrollen für die Industrie erweisen. Denn hier kommt es mehr denn je auf eine „just in time“-Produktion an, die im Falle von Grenzkontrollen erheblich ins Stocken geriete. Gleiches gilt für den Export. Und für die Transportbranche verursachte die Wartezeit an den Grenzen zusätzliche Kosten, die auf die Unternehmen überwälzt und letztlich die Verbraucher treffen würden. Wenig Freude dürften die neuen Schlagbäume auch bei den rund 18.000 Einpendlern aus Lothringen auslösen, die tagtäglich zum Arbeiten ins Saarland kommen.

Auch wenn sich der volkswirtschaftliche Schaden all dieser Nachteile nicht in Euro und Cent berechnen lässt, steht dennoch fest: Grenzkontrollen würden das Wachstum bremsen und Arbeitsplätze kosten. Es wäre daher viel gewonnen, wenn die europäische Politik sich dieser Gefahr stärker bewusst würde. Viel Zeit bleibt nicht mehr.

PS: Auch in Stuttgart haben in der Silvesternacht kriminelle Übergriffe durch ausländische Straftäter stattgefunden. So widerwärtig diese auch sind: Als Beweis, dass Integration unmöglich ist, taugen sie nicht. Eher dafür, dass die Chancen der Zuwanderung nicht ohne Schattenseiten zu haben sind und dass diese nicht aus falsch verstandener Korrektheit ungenannt und ungeahndet bleiben dürfen.