Arbeit braucht Wachstum – und schmerzhafte Reformen
Von Volker Giersch
Kommentar
01.05.2006
Bedenklich oft lautet die wohlfeile und typisch deutsche Antwort, dass es an den Unternehmen liegt – daran, dass diese sich bei ihren Personalentscheidungen allzu sehr von „kurzfristig orientierter Profitgier“ und allzu wenig von ihrer gesellschaftlichen Verantwortung („Eigentum verpflichtet“) leiten ließen. Diese Sichtweise ist ebenso falsch wie gefährlich. Denn sie verstellt den Blick auf die wahren Ursachen der deutschen Arbeitsmarktmisere. Und die liegen vor allem im Bereich der Politik – genauer: in einer Steuer-, Bildungs- und Sozialpolitik, die den Anforderungen des globalen Standortwettbewerbs und des demografischen Wandels bei weitem nicht gerecht wird.
Höheres Trendwachstum nötig
Statistisch belegt ist, dass die Beschäftigungsschwelle – also die Wachstumsrate, ab der zusätzliche Arbeitsplätze entstehen – in Deutschland deutlich über dem Niveau anderer Länder liegt. Um nachhaltig Beschäftigung aufzubauen, brauchen wir in Deutschland derzeit ein dauerhaftes Wachstum von zwei und mehr Prozent. Mit einem Trendwachstum von bundesweit rund einem Prozent bleiben wir deutlich hinter diesem Wert zurück. Zuwächse bei der Beschäftigung können und werden wir nur erreichen, wenn wir die Wachstumskräfte stärken. Oder die Beschäftigungsschwelle senken. Am besten natürlich beides.
Kündigungsschutz wirkt als Einstellungsbarriere
Dass die Beschäftigungsschwelle in Deutschland so hoch ist, hat viel mit der hohen Regulierungsdichte auf dem Arbeitsmarkt zu tun – insbesondere mit dem rigiden Kündigungsschutz. Allzu viele Unternehmen haben schmerzhaft erfahren, wie langwierig und teuer es in Deutschland ist, Personal in wirtschaftlich schwierigen Zeiten abzubauen. Diese Erfahrung geht unweigerlich in künftige Personalplanungen ein. Hohe Kündigungshürden werden so zu entsprechend hohen Barrieren für die Einstellung neuer Mitarbeiter. Im Aufschwung setzt deshalb der Beschäftigungsaufbau hierzulande später ein und fällt schwächer aus als anderswo. Beispiel USA: Dort verlieren Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz zwei- bis dreimal häufiger als in Deutschland. Dafür haben Arbeitslose aber auch eine neunmal bessere Chance, eine neue Beschäftigung zu finden. Denn Monat für Monat entstehen rund 200.000 zusätzliche Arbeitsplätze. Weniger Kündigungsschutz ist insofern sozialer. Das zeigt sich anschaulich auch in den skandinavischen Ländern.
Wettbewerb zwingt zu hoher Produktivität
Ins Bild gehört auch, dass bisher ganz überwiegend die Exportwirtschaft – vor allem also die Industrie – vom konjunkturellen Auftrieb profitiert. Hier stehen die Unternehmen aber in einem besonders harten Wettbewerb, der durch weltweiten Einkauf und globale Standortkonkurrenz geprägt ist. In vielen Marktsegmenten – etwa bei den Zulieferern des Fahrzeugbaus und des Maschinenbaus – sind jährliche Preisabschläge von mehreren Prozent die Regel. Das zwingt unsere Unternehmen, alle Möglichkeiten der Produktivitätssteigerung und Kostendämpfung konsequent auszuschöpfen. Im Ergebnis müssen sie bei Produktivität und Innovation um mindestens so viel besser sein, wie wir in Deutschland bei den wichtigsten Produktionsfaktoren teurer sind. Nur dann können sie erfolgreich im Wettbewerb bestehen und zusätzliche Aufträge an Land ziehen. Im Klartext bedeutet das: Überhöhte Kosten für Arbeit, Energie und Bürokratie gehen unweigerlich zu Lasten der Beschäftigung. Deshalb sind eine wirtschaftsfreundliche Energiepolitik, eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik, konkurrenzfähige Unternehmenssteuern und der Abbau von Bürokratie so wichtig für den Arbeitsmarkt.
Gewinnschwäche noch nicht überwunden
Negativ zu Buche schlägt auch, dass die Gewinnlage vieler Unternehmen trotz zum Teil beachtlicher Zuwächse nach wie vor eher bescheiden ist. Vor allem dann, wenn man internationale Maßstäbe zugrunde legt. Selbst die großen DAX-Unternehmen erreichen – trotz zum Teil sprunghafter Gewinnanstiege – meist noch nicht die Eigenkapital- und Umsatzrenditen, die ihre wichtigsten Konkurrenten in Europa, den USA oder Asien erzielen. Das ist nicht nur bedauerlich für die Aktionäre. Es vergrößert zudem auch das Risiko feindlicher Übernahme. Denn Unternehmen, die ihre Gewinnpotenziale nicht ausschöpfen, laufen mehr denn je Gefahr, von internationalen Konzernen oder Hedgefonds übernommen zu werden. Wenn es dazu kommt, erfolgt der Umbau anschließend umso radikaler.
Auch in der mittelständischen Wirtschaft sind die Gewinne oft unzureichend. Die Eigenkapitaldecke vieler Unternehmen ist gefährlich dünn, die Konkursrate entsprechend hoch. Deshalb ist es wichtig, dass der Mittelstand jetzt Eigenkapital aufbaut und dadurch an Wachstumskraft und Krisenfestigkeit gewinnt. Insofern gilt auch hier: Je besser die Gewinnaussichten, desto größer die Chancen auf neue Arbeitsplätze.
Facharbeitermangel trotz hoher Arbeitslosigkeit
Trotz hoher Arbeitslosigkeit gelingt es vielen Unternehmen derzeit nicht, in ausreichendem Maße neue Facharbeiter zu gewinnen; der Arbeitsmarkt für bestimmte Qualifikationen ist praktisch leergefegt. Wo das der Fall ist, kann auch eine anziehende Konjunktur keine neuen Arbeitsplätze schaffen. Umso wichtiger ist es, die Qualitätsoffensive an unseren Schulen konsequent fortzusetzen und möglichst allen Jugendlichen, die ausbildungswillig und –fähig sind, eine Chance auf Ausbildung zu geben. Die Saarwirtschaft geht hier seit Jahren mit gutem Beispiel voran.
Geringqualifizierte vom Arbeitsmarkt ausgesperrt
Ein deutsches Sonderproblem ist die ausgesprochen hohe strukturelle Arbeitslosigkeit. Betroffen sind vor allem geringqualifizierte Arbeitskräfte. In der überwiegenden Mehrzahl der Branchen sind die tarifvertraglich fixierten Mindestlöhne – einschließlich der staatlich fixierten Abgaben – inzwischen so hoch, dass sich die Einstellung Geringqualifizierter nicht mehr rechnet. Sie sind faktisch aus dem Arbeitsmarkt ausgesperrt und werden es wohl auch bleiben, wenn die Konjunktur weiter an Fahrt gewinnt. Wenn wir die Beschäftigungschancen der Geringqualifizierten nachhaltig verbessern wollen, brauchen wir marktgerechte Löhne, die im Bedarfsfall durch ergänzende staatliche Transferzahlungen (negative Einkommensteuer) aufgestockt werden. Hier sind die Bundesregierung und die Tarifpartner gefordert.
Je höher die Arbeitskosten, desto geringer das Beschäftigungsvolumen
Internationale Vergleiche zeigen, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Arbeitskosten und Beschäftigungsvolumen gibt. In Deutschland hat sich der starke Anstieg der Lohnnebenkosten in den vergangenen zehn Jahren negativ auf die Arbeitsplatzbilanz ausgewirkt: Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist seit der Jahrtausendwende um gut sechs Prozent gesunken. In den USA gab es dagegen einen Zuwachs von rund vier Prozent.
Fazit: Nicht Unternehmerversagen sondern Politikversagen heißt die Diagnose. Die deutschen Unternehmen haben ihre Hausaufgaben sehr weitgehend gemacht. Sie haben durch einen konsequenten Kurs der Verschlankung, der Modernisierung und der Innovation ihre Position auf den Weltmärkten gefestigt. Viele Arbeitsplätze konnten dadurch geschaffen oder gesichert werden. Die Politik hat mit ihren Hausaufgaben dagegen gerade erst begonnen. Die wichtigsten und einschneidendsten Reformen auf dem Arbeitsmarkt, in der sozialen Sicherung, bei den Unternehmenssteuern und beim Bürokratieabbau stehen noch aus. Erst nach ihrer Umsetzung können und werden wir die Wende auf dem Arbeitsmarkt schaffen.
Das, was notwendig ist, werden viele als unsozial empfinden. Der Verzicht darauf wäre aber um ein Vielfaches unsozialer. Denn die Arbeitslosigkeit würde sich weiter verfestigen.