Auf die Investitionen kommt es an!
IHK-Hauptgeschäftsführer Volker Giersch zur Wachstums-Krise
und deren Bewältigung
Kommentar
01.06.2004
Im laufenden Jahr wird unsere Wirtschaft nur mit gut einem Prozent wachsen. Dies, obwohl die Konjunktur weltweit längst in Fahrt gekommen ist. China und Indien wachsen mit Raten zwischen acht und zehn Prozent, die USA und Osteuropa um vier bis fünf Prozent. Japan befindet sich wieder auf einem soliden Wachstumskurs. Und auch in Westeuropa wachsen die meisten Länder deutlich stärker als Deutschland.
Nur magere Umsatzrenditen
Die Anatomie der deutschen Wachstumskrise ist rasch skizziert: Es mangelt an arbeitsplatzschaffenden Investitionen, weil diese sich hierzulande schlechter rechnen als anderswo. Die Umsatzrendite der deutschen Industrie erreichte im zurückliegenden Jahrfünft gerade einmal 2,7 Prozent. In Ländern wie Spanien, Italien, England, den USA oder auch Schweden bewegt sie sich auf einem deutlich höheren Niveau: zwischen 4,5 und sieben Prozent. Kein Wunder, dass Deutschland bei der Investitionsquote weltweit im hinteren Drittel rangiert.
Der aktuelle Kurs in der Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Tarifpolitik verheißt für die Zukunft kaum Besserung. Während die Agenda 2010 immerhin noch in die richtige Richtung wies, atmen die jüngsten Reformprojekte von Rot-Grün wieder den Geist von staatlichem Dirigismus und Umverteilungsideologie – siehe Bürgerversicherung und Ausbildungsabgabe.
Neue Schulden schaden
Sorge bereitet auch die aktuelle Diskussion über den künftigen Kurs in der Finanzpolitik. Nach den jüngsten Steuerschätzungen fehlen dem Staat in den kommenden vier Jahren - über die bereits einkalkulierten Defizite hinaus - weitere 60 Milliarden Euro. Hinzu kommen Mehrausgaben für die soziale Sicherung, weil die Arbeitslosigkeit eher steigt als sinkt.
„Lieber neue Kredite als weitere Zumutungen für die Bürger.“ Nach dieser Losung will sich die Bundesregierung wohl bis zu den nächsten Wahlen retten. Die ökonomische Begründung wird nachgereicht: Weitere Sparrunden würden das zarte Pflänzchen des beginnenden Aufschwung gefährden.
Diese Argumentation ist ebenso falsch wie gefährlich. Gefahren gehen nicht von neuen Sparrunden aus, sondern vielmehr von unzureichender Haushaltsdisziplin. Denn eine laxe Finanzpolitik würde unweigerlich zusätzliche Verunsicherung bei Investoren und Verbrauchern schaffen. Sie würde die Befürchtung nähren, dass es schon bald zu neuen Belastungen an der Steuer- und Abgabenfront kommen wird. Erste Vorschläge geistern ja bereits durch die Medien: Pkw-Maut, Aussetzen der Steuerreform, Erhöhung der Mehrwertsteuer, Streichung der Eigenheimzulage. Die Folgen sind zu spüren: Das Misstrauen in die Politik verstärkt sich. Das Angstsparen nimmt zu. Die Unternehmen kürzen ihre Investitionsbudgets. Die Wirtschaft wächst langsamer.
Vorbilder aus Europas Norden
Dass die Sanierung überschuldeter Haushalte und die Belebung der Wirtschaft kein Widerspruch sind, zeigt der Blick in Europas Norden. Die Regierungen in Dänemark, Finnland und Schweden haben Mitte der 90er Jahre harte Einschnitte ins soziale Netz vorgenommen und rigoros gespart. Sie haben damit zugleich ein attraktives und verlässliches Umfeld für Investitionen geschaffen. Spätestens seit der Jahrtausendwende sind die öffentlichen Kassen dort im Plus. Die Wirtschaft wächst. Neue Arbeitsplätze entstehen. Alte Schulden werden abgetragen.
So könnte es bald auch in Deutschland sein. Notwendige Bedingung ist freilich, dass wir nicht länger an den Symptomen kurieren, sondern dem Patienten eine grundlegende Fitnesskur verordnen. Sie muss mindestens folgende Maßnahmen umfassen: strikte Haushaltskonsolidierung über rigorose Einsparungen bei den konsumtiven Ausgaben; wirksame Dämpfung der gesetzlichen Lohnnebenkosten durch Strukturreformen in der sozialen Sicherung; grundlegende Steuerreform, die die Bemessungsgrundlagen verbreitert und die Steuersätze weiter senkt; forcierte Deregulierung des Arbeitsmarktes; Qualitätsoffensive im Bildungswesen durch mehr Wettbewerb im System und nicht zuletzt eine beschäftigungsorientierte Tarifpolitik.
Investitionsoffensive durch Masterplan
All diese Elemente gehören in einen Masterplan, dessen zeitnahe Umsetzung verbindlich festgelegt werden muss. Zugegeben: Das wäre ein riesiger Kraftakt. Doch die Saat würde schon bald aufgehen: Die Renditeerwartungen würden sich verbessern, die Unternehmen mehr investieren. Zusätzliche Arbeitsplätze würden entstehen. Das Angstsparen würde abnehmen, die „Massenkaufkraft“ nachhaltig steigen. Höhere Steuereinnahmen würden neue Spielräume für die Konsolidierung der Haushalte und für mehr staatliche Investitionen schaffen. Kurzum: Es käme ein Wachstumsprozess in Gang, der sich selbst tragen würde.
Das Gebot der Stunde heißt also, möglichst rasch den Nährboden für mehr private Investitionen zu bereiten. Auch wenn die ersten Schritte dazu schmerzhaft sind – es ist der einzig erfolgversprechende Weg, unsere hausgemachte Wachstumskrise zu überwinden.