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Bürokratie abbauen, Mittelstand entlasten

Von Volker Giersch
Kommentar

01.05.2007

Zu den Hauptschwächen des Wirtschaftsstandortes Deutschland zählt nach wie vor die überbordende Bürokratielast. Einen Großteil davon hat die Wirtschaft zu tragen. Insgesamt werden die direkten Belastungen für Unternehmen auf bis zu 80 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Diese Kosten beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und mindern letztlich ihre Wachstums- und Beschäftigungsdynamik. Bürokratieabbau ist deshalb im Kern
auch Wachstumspolitik.
Besonders betroffen ist der Mittelstand. Denn es gilt: Je kleiner das Unternehmen, desto höher die Bürokratiekosten je Mitarbeiter. Etwa 4.300 Euro pro Jahr betragen sie für jeden Beschäftigten bei Unternehmen mit bis zu neun Mitarbeitern. Der Abbau von Bürokratie ist insofern zum guten Teil auch Mittelstandspolitik.

Hohe Kosten durch Informationspflichten …

Die Bürokratiekosten sind vielfältiger Natur. Zunächst zählen all jene Kosten dazu, die sich für die Unternehmen aus den umfangreichen Meldepflichten für die amtliche Statistik ergeben. Wie hoch sie sind, werden wir wissen, wenn das Statistische Bundesamt demnächst die Ergebnisse einer entsprechenden Untersuchung vorlegt. Diese Messung ist dann auch der Maßstab für die Selbstverpflichtung der Bundesregierung, die Kosten der Unternehmen
für Informationspflichten bis 2011 um ein Viertel zu senken.

Hilfsdienste für den Staat …

Mit hohen Kosten verbunden sind auch die vielfältigen Hilfsdienste der Unternehmen für den Staat - etwa die Berechnung und Abführung von Lohnsteuer, Kirchensteuer und Sozialversicherungsbeiträgen oder die Auszahlung des Kindergeldes. Allein die Arbeiten an der Lohnsteuer kosten die Wirtschaft nach Schätzung von Experten mehr als fünf Milliarden Euro im Jahr.

Zu viel Regulierung …

Stark zu Buche schlägt auch der Aufwand, der aus komplexen Genehmigungsverfahren und umweltrechtlichen Vorschriften resultiert. Ein Beispiel für viele: Ein Hersteller winziger Elektromotoren für Eisenbahnmodelle stellt jährlich Produkte mit einer Gesamtmasse von 240 Kilo her. Dafür fallen Entsorgungskosten in Höhe von 2,86 Euro an. Gemäß unserem Umweltrecht muss sich die Firma als Hersteller registrieren lassen und überdies auch noch eine insolvenzsichere Garantie der Hausbank über die Höhe der Entsorgungskosten einreichen. Beides zusammen kostet mehr als 600 Euro. 200-mal so viel also wie die Entsorgung selbst. Warum, so muss man fragen, gibt es hier keine Kleinmengenregelung?

… und komplexes Arbeits- und Steuerrecht

Das Beispiel mit seinen absurden Folgen legt zugleich den Kern des Problems offen: Wir leisten uns in Deutschland einen Rechtsrahmen, der an Komplexität und Regulierungsdichte kaum zu übertreffen ist. Insbesondere in jenen Bereichen, die die Wirtschaft besonders treffen - im Arbeitsrecht und im Steuerrecht - nehmen wir mit voluminösen
Gesetzeswerken und einer kaum mehr durchschaubaren Fülle an Regelungs-, Ausnahme-, Förder- und Kontrolltatbeständen international eine traurige Spitzenstellung ein. Dazu passt etwa, dass rund 80 Prozent der Fachliteratur, die es weltweit zu Fragen des Steuerrechts gibt, in deutscher Sprache geschrieben sind. Alles in allem sind wir wohl derzeit das Land mit der höchsten Zahl an Steuerrechts-, Arbeitsrechts-, Sozialrechts- und Subventionsexperten und die Nation mit dem größten Verbrauch an Leitz-Ordnern.

Erste Schritte zum Bürokratieabbau …

Wer die Politik verfolgt, der weiß: Das Problem ist längst erkannt. Seit Jahren bereits findet sich in nahezu jeder wirtschaftspolitischen Rede das Bekenntnis, dass Bürokratieabbau ganz oben auf die Agenda gehört. Nun folgen den Worten endlich auch Taten: Die beiden Mittelstandsentlastungsgesetze (MEG), die im August 2006 und im Januar 2007 in Kraft getreten sind, sind erste Schritte in die richtige Richtung. Das Entlastungsvolumen ist mit rund 100 Millionen Euro zwar bislang noch eher bescheiden. Doch ist endlich ein konkreter Anfang gemacht - ein Anfang, dem bald weitere Entlastungsschritte folgen sollten.
Die IHK-Organisation hat bereits vor einem Jahr 28 Vorschläge zum Abbau bürokratischer Hemmnisse vorgelegt, die allerdings nur zum Teil in die Entlastungsgesetze aufgenommen wurden. Erst kürzlich hat der DIHK nachgelegt und 66 Maßnahmen zur weiteren Mittelstandsentlastung vorgeschlagen. Sie betreffen u. a. das Steuerrecht, das Bildungsrecht, das Umweltrecht sowie das Arbeits- und Sozialrecht - und damit genau jene Bereiche, in denen der größte Handlungsbedarf besteht. Das MEG hat hier bislang noch einen „blinden Fleck“; es setzt sehr einseitig bei den Informationspflichten der Unternehmen an.

… aber zusätzliche Bürokratie durch neue Gesetze

Enttäuschend ist, dass wir uns trotz der erzielten Fortschritte per Saldo noch immer in einer Phase des Bürokratieaufbaus befinden. Denn die bisher beschlossenen Entlastungen wurden durch neue Gesetze, die Bürokratie an anderer Stelle sprießen lassen, mehr als kompensiert. Zu den Sündenfällen zählt in erster Linie das im vergangenen
Jahr in Kraft gesetzte Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das in wichtigen Punkten über die zugrunde liegende EURichtlinie hinausgeht und die Wirtschaft zu einem riesigen zusätzlichen Dokumentationsaufwand zwingt. Die IHK-Organisation fordert deshalb mit Nachdruck, dieses Gesetz möglichst rasch - spätestens zu seinem ersten Geburtstag im Herbst 2007 - auf den Prüfstand zu stellen und so zu entschlacken, dass es der ursprünglich
angestrebten Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinie entspricht.
Zusätzlichen bürokratischen Aufwand wird wohl auch die Unternehmenssteuerreform mit sich bringen. Im Entwurf ist etwa vorgesehen, die Grenze für Sofortabschreibungen von geringwertigen Wirtschaftsgütern von derzeit 410 auf künftig 100 Euro abzusenken. Geschätzte bürokratische Zusatzkosten: 180 Millionen Euro bei zu erwartenden Steuermehreinnahmen von 900 Millionen Euro. Das ist ein Bürokratiekostenanteil von immerhin 20 Prozent und
ziemlich genau das Gegenteil dessen, was wir brauchen: ein einfaches und effizientes Steuersystem.

Mentalitätswandel nötig!

All das zeigt: Wenn wir einen wirklichen Durchbruch beim Bürokratieabbau schaffen wollen, brauchen wir weit mehr als Mittelstandsentlastungsgesetze. Nötig ist dann ein grundlegender Mentalitätswandel in allen Bereichen der Gesetzgebung: Statt unserem Hang zu ausgeklügelten Sozialsymmetrien, zu Regulierungsperfektionismus
und zur Schaffung von Einzelfallgerechtigkeit weiter zu frönen, müssen wir uns endlich dazu durchringen, einfache, transparente und leicht umsetzbare Gesetze zu verabschieden. Ein Signal in diese Richtung ist die Initiative der Bundesregierung, einen nationalen Normen-Kontroll-Rat ins Leben zu rufen, der die Folgekosten geplanter Gesetzesvorhaben berechnen soll. Leider gibt es ein Manko: Der Rat darf Gesetzesentwürfe aus der Mitte des
Bundestages und Bundesrates nicht prüfen. Dieser „Geburtsfehler“ sollte bald behoben werden.
Angesichts des demographischen Wandels sind Fortschritte beim Bürokratieabbau heute wichtiger denn je. Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter wird in den kommenden Jahren deutlich zurückgehen. Umso dringlicher ist es, möglichst viele Menschen, die heute in überbordenden Bürokratien tätig sind oder sich in den Unternehmen mit komplexen arbeits- und steuerrechtlichen Fragen befassen, künftig produktiver zu beschäftigen – am besten
dort, wo es um Wertschöpfung am Markt geht.
Um dies zu schaffen, müssen wir endlich ran an Großprojekte wie eine grundlegende Steuerreform à la Kirchhoff oder eine weitreichende Deregulierung des Arbeitsmarktes. Beides zusammen würde unserer Volkswirtschaft nicht nur gigantische Effizienzgewinne bringen, sondern zugleich auch die Wachstumskräfte nachhaltig stärken; dies auch und gerade im Bereich der mittelständischen Wirtschaft.