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Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht

Von IHK-Vizepräsident Thomas Hempel
Kolumne

01.08.2010

Die Steuerpolitik bewegt einmal mehr die Gemüter. Kaum dass der Wahlkampfslogan „Mehr Netto vom Brutto“ auf Eis gelegt wurde, wird über Steuererhöhungen diskutiert. Und Beschlüsse gibt es auch schon. So hat sich die Bundesregierung Anfang Juni darauf verständigt, im Rahmen ihres Sparprogramms neue Steuern für die Wirtschaft einzuführen – eine Finanztransaktionssteuer für Banken, eine Luftverkehrsabgabe für Airlines und eine Brennelementesteuer für die Energiewirtschaft. Vermutlich wird es bei diesen branchenspezifischen Steuererhöhungen nicht bleiben. Darauf deuten jedenfalls Stimmen aus allen Parteien hin, die eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes in der Einkommensteuer, höhere Erbschaftsteuersätze oder gar die Wiedereinführung der Vermögensteuer fordern.

Die Begründungen, die Steuererhöhungen das Wort reden, sind indessen durchaus unterschiedlich. Während die einen meinen, die Steuern müssten erhöht werden, um den sozialen Ausgleich zu schaffen, geht es den anderen um die Konsolidierung der Staatsfinanzen. Mitunter gehen die Begründungen auch durcheinander. Sie sind zudem parteipolitisch gefärbt und zumindest teilweise Umfragewerten geschuldet. Was ist von diesen Argumenten zu halten? Sind Steuererhöhungen wirklich unausweichlich?

Es liegt zwar nahe, mit höheren Einnahmen das Defizit schließen zu wollen. Doch zahlreiche Untersuchungen belegen, dass diese Art des Defizitausgleichs auf mittlere Sicht volkswirtschaftlich schädlich ist. Kurzfristig spülen höhere Steuern zwar meist zusätzliches Geld in die Kassen, doch à la longue verringern sie die gesamtwirtschaftliche Kapitalbildung und Motivation der Leistungsträger. Insofern dämpfen höhere Steuern letztlich die Entwicklung des volkswirtschaftlichen Produktionspotenzials. Die Folgen für unser Wohlstandniveau sind damit ähnlich wie jene des demografischen Wandels. Mit einem wichtigen Unterschied: Der demografische Wandel ist eine Tatsache, die wir kaum beeinflussen können. Höhere Steuern liegen dagegen sehr wohl im Ermessensraum politischer Entscheidungen.

Nicht von der Hand zu weisen ist zudem der Umstand, dass Kasse sinnlich macht. Höhere Einnahmen werden daher eher für neue Wohltaten verwandt als zum Defizitabbau. Wenn es dafür noch eines Beweises bedurft hätte, dann wurde er nach der Mehrwertsteuererhöhung Anfang 2007 erbracht.

Nicht stichhaltig ist auch das Argument, höhere Steuern seien mit Blick auf die soziale Symmetrie und im Sinne des gesellschaftlichen Zusammenhalts geboten. Starke Schultern – so der oft zitiert Satz – müssten mehr tragen als schwache. Das ist starker Tobak. Schließlich gibt es in unserem Land schon seit Jahrzehnten ein Einkommensteuersystem, das hohe Einkommen stärker besteuert als schwache – mit erheblichen Umverteilungswirkungen. So trägt etwa das obere Einkommensviertel gut drei Viertel des gesamten Aufkommens aus der Einkommensteuer, während das untere Viertel gerade mal drei Hundertstel zu den Einnahmen beisteuert.

Kurzum: Die Umverteilung von oben nach unten funktioniert. Jegliches weitere Drehen an der Steuerschraube verbietet sich. Denn schon heute zahlen nicht nur die so genannten Spitzenverdiener den Spitzensteuersatz. Sondern auch all jene Handwerker, Facharbeiter, Beamte und Angestellte, deren jährliches Einkommen über 52.882 Euro liegt. Der Hauptgrund dafür ist, dass seit Einführung des heutigen Einkommensteuersystems im Jahre 1958 die Einkommensgrenze, von der an der Spitzensteuersatz greift, nur ein einziges Mal angehoben wurde. Immer mehr Arbeitnehmer und mittelständische Unternehmer sind dadurch steuerlich zu Spitzenverdienern gemacht worden, obwohl sie faktisch keine sind. Das alles ist bekannt. Und dennoch sind die überfälligen Anpassungen beim „Spitzeneinkommen“ oder am „Mittelstandsbauch“ vorerst auf die lange Bank geschoben worden. Es ist deshalb auch kein Wunder, dass der Glauben von Bürgern und Unternehmen an Steuergerechtigkeit immer schwächer wird.

Die Konsequenzen dieser Entwicklung gehen aber weit darüber hinaus. Sie reichen von zunehmender Politikverdrossenheit über nachlassenden Leistungswillen bis hin zu abflauenden Bildungsanstrengungen und einer verstärkten Abwanderung ins Ausland. Diese Effekte sind bereits heute spürbar und würden bei weiteren Belastungen noch verstärkt. Zudem wären höhere Steuern Gift für die wieder anziehende Konjunktur. Es gibt also zahlreiche gute Gründe, die Steuer nicht zu erhöhen. Wie heißt es doch in einem alten Sprichwort: Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.