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Der Preis der Eigenständigkeit - Ohne forciertes Sparen wird es nicht gehen

Von Volker Giersch
Standpunkt

01.08.2010

Anfang Juli hat die Landesregierung die Eckpunkte für den Haushalt 2011 vorgelegt. Sie will damit die Auflagen der Konsolidierungshilfe im kommenden Jahr erfüllen und den Weg frei machen für die erste Tranche der Solidarhilfe in Höhe von 260 Millionen Euro. Dank dieser Hilfe werden die Landesschulden in 2011 nicht um gut eine Milliarde, sondern nur um rund 750 Millionen Euro steigen. Der Defizitabbau ist eingeleitet. Das ist gut und richtig so.

Sorge macht dagegen die Struktur des Sparpaketes: Die Einschnitte bei den Investitionen und den so genannten freiwilligen Leistungen (u. a. Wirtschaftsförderung und Kulturförderung) sind relativ groß, die Einsparungen bei den Personalkosten vergleichsweise gering. Auf den Punkt gebracht heißt das: Die Regierung spart zu viel zu Lasten der Zukunft und zu wenig zu Lasten der Gegenwart.

Insgesamt hat die Landesregierung Minderausgaben von 115 Millionen Euro angekündigt. Rund 90 Millionen davon lassen sich eindeutig nachvollziehen:
Um 30 Millionen Euro – das sind gut zwei Prozent – sollen die Personalkosten gekürzt werden, etwa durch die geplante Nullrunde bei Beamten und Versorgungsempfängern. 20 Millionen sollen beim Investitionsbudget gestrichen werden; das entspricht einer prozentualen Kürzung von rund sieben Prozent. Die größten Einsparungen – gut 35 Millionen - will das Land bei den freiwilligen Leistungen vornehmen. Das ist ein Minus von immerhin neun Prozent.

Höhere Steuern sind Gift für den Standort

Auf der Einnahmenseite ist ein Plus von rund vier Millionen Euro eingeplant – durch die Anhebung der Grunderwerbssteuer von 3,5 auf vier Prozent. Hier waren wohl noch höhere Sätze in der Diskussion. Doch auch so steuert das Land ein Stück weiter in Richtung Hochsteuerland. Das schmerzt. Denn kaum jemand dürfte bestreiten: Hohe Steuern schaden dem Standort, in diesem Fall vor allem dem Wohnstandort und dem Wohnungsmarkt. Für die Unternehmen ist dies ein Problem, weil die wichtige Zuwanderung von Fach- und Führungskräften dadurch weiter erschwert wird. Bei der Gewerbesteuer hat die Saarwirtschaft ja bereits seit langem eine Mehrbelastung von rund 40 Millionen Euro jährlich zu tragen.

Angekündigt hat die Landesregierung schließlich auch, dass sie die „Beitragsfreiheit im Betreuungsbereich“ überprüfen will. Ein konkretes Einsparziel wurde hierzu noch nicht genannt. In der Sache geht es darum, für das dritte Kindergartenjahr ab 2011 wieder Beiträge einzuführen, die „sozial gestaffelt“ werden sollen.

So hart es klingen mag: Solche Einschnitte sind zwar schmerzlich, aber auch unausweichlich. Denn wir leisten uns als Notlagenland manche soziale Wohltat, die sich finanzstärkere Länder nicht leisten. In Bayern und Baden-Württemberg etwa zahlen Studenten Studiengebühren und Eltern kostendeckende Beiträge für die Kindergärten und für die Nachmittagsbetreuung in Schulen. Nicht so im Saarland. Kann es da verwundern, dass uns die Länder, die uns finanziell unterstützen, zu mehr Spardisziplin auffordern? Finanziell geht es um durchaus beachtliche Größenordnungen. Allein die kürzlich beschlossene Streichung der Studiengebühren und die beitragsfreie Nachmittagsbetreuung von Schülern belasten den Landeshaushalt in diesem Jahr zusammen mit jährlich rund 30 Millionen Euro. Die Beitragsfreistellung des dritten Kindergartenjahres schlägt nochmals mit gut zwölf Millionen Euro zu Buche. Soviel soziale Fürsorge – das sollte jedermann klar sein - wird nicht mehr lange finanzierbar sein.

Breit angelegter Stellenabbau unvermeidlich

Gleiches gilt für den Bereich der Personalkosten. Die Kürzungen bei Beamtenbezügen und Versorgungsleistungen, die mehrere andere Länder bereits beschlossen haben, versprechen zwar durchaus ein beachtliches Sparvolumen. Doch ist der Spielraum für eine Absenkung des Besoldungsniveaus damit weitgehend ausgeschöpft. Durch weitere Nullrunden würde der öffentliche Dienst auf dem Arbeitsmarkt schon bald ins Abseits zu geraten.

Reichlich Spielraum für Einsparungen besteht dagegen beim Personalbesatz, das heißt bei der Zahl der Stellen. Leider nutzt die Landesregierung diesen Spielraum bislang äußerst zögerlich: Der für 2011 angekündigte Einstellungsstopp gilt nur für den engeren Verwaltungsbereich. Mehr als 80 Prozent des öffentlichen Dienstes – Polizei, Schulen, Wissenschaft, Finanzämter und Justiz – bleiben vom Stellenabbau weiterhin vollständig ausgenommen. Ein weiteres Jahr wird das nicht durchzuhalten sein. Andere Notlagenländer bauen bereits jetzt kräftig Personal ab.

Die Zögerlichkeit hat ihren Preis: Die Regierung musste an anderer Stelle sparen. Sie entschied sich für schmerzhafte Einschnitte bei den Investitionen und freiwilligen Leistungen – für Einschnitte, die zu Lasten der Zukunft gehen. Denn sie betreffen ganz wesentlich jene Ausgabenbereiche, die die Wirtschaftskraft des Landes stärken, den Strukturwandel fördern und die Standortqualität prägen. Immerhin zählen zu den freiwilligen Leistungen so wichtige Bereiche wie Investitionszuschüsse, Mittelstandsförderung, die Unterstützung von Existenzgründern, die Ansiedlungspolitik oder auch die Förderung der Kultur.

Diesem Sparmuster darf die Politik nicht weiter folgen. Ansonsten droht das Land im Standortwettbewerb mit anderen Regionen zurückzufallen. Und das wäre dann der Anfang vom Ende der Eigenständigkeit – deshalb schon, weil der Landeshaushalt nur dann zu sanieren ist, wenn die Wirtschaft weiter wächst.

Bleibt die Frage: Wo anders gibt es ausreichende Einsparpotenziale? Die Antwort liegt auf der Hand. Dort zuallererst, wo wir uns bislang noch höhere Ausgaben leisten als die anderen Bundesländer. Und das ist in einer Vielzahl von Bereichen der Fall.

Ausgaben liegen über Länderschnitt

Fakt ist, dass unser Land größenbereinigt rund 650 Millionen Euro mehr ausgibt als die westdeutschen Flächenländer im Schnitt. Davon entfallen 250 Millionen auf die höhere Zinslast und gut 110 Millionen auf höhere Versorgungsleistungen. Dies sind Hypotheken vergangener Jahrzehnte, die die Politik kaum beeinflussen kann. Dennoch bleiben fast 290 Millionen Euro, die wir in anderen Bereichen mehr ausgeben als die übrigen Länder. Das sind prozentual gerechnet mehr als zehn Prozent. Im Klartext: Wir leben also kräftig über unsere Verhältnisse. Und hier kann und muss die Politik dann auch ansetzen.

Gleich wie man es dreht und wendet: Unser Land hat ein Ausgabenproblem und kein Einnahmenproblem. Bei den Einnahmen liegt es – nach Finanzausgleich und weiteren Hilfen – sogar etwas über dem Schnitt der westdeutschen Flächenländer. Selbst wenn man die Kommunen mit ins Bild nimmt, erreichen wir noch gut 98 Prozent des Länderdurchschnitts.

Angesichts dieser Fakten ist kaum nachvollziehbar, dass die Arbeitnehmerorganisationen davor warnen, dass sich das Land „kaputt spart“. Wenn wir die Mehrausgaben von fast 300 Millionen Euro schrittweise abbauen, lassen sich die Auflagen der Schuldenbremse bis Mitte des Jahrzehnts durchaus erfüllen. Und zwar ohne dass unser Land hinter das Ausgabenniveau der westdeutschen Flächenländer zurückfällt.

Dynamisches Benchmarking als Basis

Wo das Saarland im Einzelnen mehr ausgibt als andere Länder und wo es entsprechende Einsparpotenziale gibt, soll die von der Landesregierung eingesetzte Haushaltsstrukturkommission ermitteln. Dazu unterzieht dieses Gremium alle wichtigen Ausgabenbereiche des Landes einem so genannten dynamischen Benchmarking. Dynamisch bedeutet, dass auch die absehbare Bevölkerungsentwicklung mit in die Betrachtung eingeht. Und das schlägt beträchtlich zu Buche. Denn hierzulande schrumpft die Bevölkerung um rund acht Prozent, bundesweit hingegen nur um zwei Prozent. Dies hat nicht nur negative Auswirkungen auf unsere künftige Finanz- und Steuerkraft. Es mindert zugleich auch den künftigen Bedarf an Personal im öffentlichen Dienst: Weniger Schüler brauchen weniger Lehrer, weniger Bürger weniger Polizisten und weniger Steuerzahler weniger Finanzbeamten.

Unzumutbar?  Da mag es der saarländischen Seele Trost geben, dass auch die anderen Bundesländer sparen müssen. Auch sie müssen die „Schuldenbremse“ beachten und sich auf der Ausgabenseite entsprechend einschränken – beim Personal und anderswo. Mehrere Notlagenländer haben bereits angekündigt, dass sie Stellen, die altersbedingt frei werden, nur zum Teil wieder besetzen wollen – in der Verwaltung aber auch bei Polizei, Schulen und Gerichten. Schleswig-Holstein will auf diesem Weg zehn Prozent der Stellen, Brandenburg 20 Prozent und Sachsen-Anhalt gar 25 Prozent einsparen.

Was in diesen Ländern möglich ist, sollte auch hierzulande machbar sein - deshalb auch, weil wir noch mehrere Jahre in der komfortablen Situation sind, uns von oben an den Länderdurchschnitt heranarbeiten zu können. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts wird es aber zunehmend eng. Denn dann gilt es, jenen Teil des Defizits abzubauen, der aus höheren Ausgaben für Zinsen und Versorgungsleistungen resultiert. In knapp zehn Jahren werden wir – nach der Logik der Schuldenbremse – in allen übrigen Ausgabenbereichen mit rund zehn Prozent weniger auskommen müssen als die westdeutschen Länder im Schnitt. Ein Zehntel weniger für Bildung, Polizei, Hochschulen, Kultur und Investitionen als konkurrierende Regionen - da stellt sich dann durchaus die Frage: Kann unser Land mit einem solch starken Finanz-Handicap noch erfolgreich bleiben? Kann es seinen Bürgern noch gleichwertige Lebensbedingungen und der Wirtschaft ausreichend attraktive Standortbedingungen bieten?

Altschuldenfond als Chance

Darüber und über denkbare Wege, wie sich für die ab 2020 beginnende Phase defizitfreier Haushalte ein hinreichendes Maß an Chancengleichheit schaffen lässt, wird zu gegebener Zeit eingehend zu diskutieren sein. Die Überführung der Landesschulden in einen Altschuldenfond wäre ein geeigneter Weg. Doch machen wir uns keine Illusionen. Solch weitergehende Solidarhilfe kann und wird erst in Reichweite kommen, wenn das Land und die übrigen Notlagenländer zuvor die notwendige Basis dafür geschaffen haben: durch eine restriktive Finanzpolitik, die die konsequente Einhaltung der vereinbarten Konsolidierungsauflagen zum Ziel hat und eine Vielzahl unpopulärer Sparbeschlüsse erfordern wird. Sparen ohne Tabus heißt das Gebot der Stunde. Es ist der Preis, den wir für den Erhalt der Eigenständigkeit zu zahlen haben.