Die Reformen müssen fortgesetzt werden!
Von Dr. Richard Weber, Präsident IHK Saarland
Kolumne
01.03.2004
Dabei wissen selbst diejenigen, die jetzt eine Kehrtwende in der Wirtschafts-, Beschäftigungs-, Steuer- und Sozialpolitik fordern, dass damit bestenfalls weiße Salbe aufgetragen wird. Die Forderungen nach einer höheren Erbschaftsteuer, nach Wiedereinführung der Vermögensteuer, nach einer Bürgerversicherung im Gesundheitswesen oder einer Ausbildungsplatzabgabe mögen ja großen Teilen der Bevölkerung aus der Seele sprechen. Als Wegmarken zu mehr sozialer Gerechtigkeit sind sie aber gänzlich ungeeignet. Denn die größte Ungerechtigkeit in unserem Land ist, dass mehr als vier Millionen Menschen keine faire Chance haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Mit einem noch tieferen Griff in die Taschen der Bürger und noch mehr Staatsbürokratie lässt sich dieses Problem nicht lösen. Bittere Erfahrung lehrt vielmehr, dass es sich dadurch eher noch vergrößert. Es war nicht zuletzt diese Erkenntnis, die zur Agenda 2010 und zum hitzigen Reformmarathon am Ende des letzten Jahres geführt hat.
Was fehlt, ist Ehrlichkeit .....
Woher nun der harte Gegenwind? Der Verweis auf die soziale Schieflage der Reformgesetze ist wenig überzeugend. Die Praxisgebühr trifft fast alle. Neid auf andere, die davon verschont bleiben, scheidet damit als Erklärung aus. Zumal bei genauerem Hinsehen die Entlastung durch die Steuerreform größer sein dürfte als der Arztobolus. Anscheinend liegen die Gründe für die derzeitige Unzufriedenheit auf einer ganz anderen Ebene.
Erinnern wir uns, wie die letzte Wahl gewonnen wurde: Mit Versprechungen, die sich schnell als unhaltbar herausstellten. An ihre Stelle trat die Agenda 2010. Statt versprochener Wohltaten standen auf einmal Einschnitte im sozialen Netz auf der Tagesordnung. Solche Kapriolen mögen die Menschen nicht. Sie wollen argumentativ mitgenommen werden und vor allem wissen, wohin die Reise geht. Angst vor der eigenen Courage und der deutschen Konsens- und Bündnisgesellschaft haben den Bundeskanzler wider besseres Wissen wohl davon abgehalten, die bitteren Wahrheiten gleich am Anfang auszusprechen.
.... und Konsequenz
Aber selbst nach dem Kurswechsel taktierte die Regierung viel zu zaghaft. Statt die notwendigen Maßnahmen offensiv und beherzt voranzutreiben, ließ sie sich auf windige Kompromisse ein. Die Menschen spüren das, sie mögen Halbherzigkeiten und Widersprüchlichkeiten nicht. Und vor allem sind sie nicht bereit, dafür Opfer zu bringen. Der Aufschrei über die Praxisgebühr war so gesehen auch ein Hilfeschrei nach mehr Geradlinigkeit. Und wohl auch ein Misstrauensvotum gegen eine Politik, die an Symptomen kuriert, statt das Übel von der Wurzel her zu heilen.
Die Regierung sollte ihn ernst nehmen und daraus lernen, wie Reformen gemacht werden müssen, damit sie angenommen werden: Sie müssen verständlich sein und zugleich nachhaltigen Erfolg versprechen.
Vor uns liegen nun die nächsten Reformen in der Gesundheits-, Renten-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik. In vier Wochen werden die beschlossenen Rentenkürzungen wirksam. Erste Demonstrationen dagegen sind schon angekündigt. Bis dahin sollte die Regierung sich darauf besinnen, dass Rhetorik und Kommunikation einst als erste Tugend der Politiker galten und die Ermunterung der Bürger zur Vernunft ihre wichtigste Aufgabe ist. Das setzt allerdings voraus, dass sie selbst überzeugt ist von dem, was sie tut. Andernfalls sollte sie andere vorlassen. Denn prinzipiell gibt es keine Alternative zum Reformkurs. Solidarität buchstabiert sich heute nicht mehr als weitreichende, auf Nivellierung zielende Umverteilung, sondern als Auftrag, die Bürger über zukunftssichere Sozialsysteme gegen soziale Notlagen abzusichern.