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Die Wachstumskräfte stärken!

Von Volker Giersch
Standpunkt

01.10.2008

Seit Mitte des Jahrzehnts hat die deutsche Wirtschaft – und mit ihr die saarländische – einen bemerkenswerten Aufschwung genommen. Das Wachstum fiel deutlich stärker aus als in den Jahren zuvor. Und davon hat der Arbeitsmarkt stark profitiert: Die Arbeitslosigkeit ist um ein Drittel gesunken, die Zahl der Arbeitsplätze um über 1,5 Millionen gestiegen. Verglichen mit den Aufschwungphasen in den 70er, 80er und 90er Jahren ist das geradezu ein Beschäftigungswunder.

Der Erfolg ist freilich nicht vom Himmel gefallen. Er wurde hart erarbeitet. Zunächst durch die Unternehmen, die ihre Produktivität und Innovationskraft kräftig verbessert haben und in einem freundlichen weltwirtschaftlichen Umfeld zusätzliche Marktanteile gewinnen konnten. Zweitens durch die Tarifpartner, die über viele Jahre hinweg moderate Lohnabschlüsse vereinbart und so zum Beschäftigungsaufbau beigetragen haben. Drittens schließlich durch die Politik, die mit der inzwischen viel geschmähten Agenda 2010 die Weichen in Richtung Wachstum und Beschäftigung gestellt hat – durch Reformen in der sozialen Sicherung, auf den Arbeitsmärkten und in der Steuerpolitik. Die große Koalition hat diese Reformpolitik zunächst fortgeführt. Dafür stehen die Rente mit 67 und die Unternehmensteuerreform, die zu Beginn dieses Jahres in Kraft getreten ist. Insgesamt ist es so gelungen, Deutschland vom Schlusslicht in Europa wieder in eine europäische Spitzenposition zu bringen. Die boomende Weltwirtschaft sorgte dabei für eine hohe Reformrendite.

Arbeitsmarkt vor der Wende

Die Zukunft sieht indes weit weniger rosig aus: Im Zuge der Turbulenzen auf den Finanz-, Energie- und Rohstoffmärkten sind nicht nur die USA, sondern auch Europa und Deutschland in eine Phase der Stagnation, wenn nicht gar in eine Rezession geraten. Dabei ist noch nicht absehbar, wie lange diese Schwächephase dauern wird und wann wir mit einer Wende zum Besseren rechnen können.

Forschungsinstitute, Banken und Wirtschaftsorganisationen sagen für 2009 ein nur mäßiges Wachstum in der Spanne von 0,2 Prozent bis ein Prozent voraus. Das ist zu wenig, um zusätzliche Beschäftigung aufzubauen. Stattdessen dürfte der Arbeitsmarkt schon in wenigen Monaten auf Talfahrt gehen.

Zwei Umstände sprechen immerhin dafür, dass diese Talfahrt moderat ausfallen wird: Zum einen ist erkennbar, dass die Unternehmen ihre Fachkräfte über die konjunkturelle Durststrecke halten wollen, weil sie wissen, dass sich der Facharbeitermangel in der anschließenden Erholungsphase weiter verstärken wird. Zum anderen wirkt stabilisierend, dass die Beschäftigungsschwelle durch die Agenda-Politik deutlich gesunken ist: Während früher fast zwei Prozent Wachstum nötig waren, um die Beschäftigung stabil zu halten, genügt dazu heute ein Wachstum von gut einem Prozent. Das erklärt auch, warum der wirtschaftliche Aufschwung seit 2005 so viele Arbeitsplätze geschaffen hat.

Politik auf gefährlichem Kurs

Trotz ihres nachweislichen Erfolgs verliert die Agenda-Politik immer mehr ihre Anhänger. Schlimmer noch: Mit der Entscheidung, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Ältere wieder zu verlängern, vollzog die Bundesregierung bereits die erste Rolle rückwärts. Mit der Festsetzung von branchenspezifischen Mindestlöhnen folgte eine noch gefährlichere zweite. Mittlerweile droht die „Gegenreform“ voll in Gang zu kommen. Die Liste der Vorschläge, die derzeit nicht nur im linken Spektrum der Politik kursieren, ist ebenso lang wie bedrohlich: Zurück zur Rente mit 65, Aufnahme weiterer Branchen in das Entsendegesetz, gesetzliche Festlegung allgemeiner Mindestlöhne, Mindestarbeitsbedingungsgesetz, Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, Sockelrente, höhere Erbschaftssteuern oder Begrenzung der Managergehälter sind einige Stichworte.

Zudem droht Ungemach von der Lohnfront: Auch hier stehen die Zeichen auf Umverteilung. Die Gewerkschaften gehen mit Forderungen in die nächste Lohnrunde, die den Produktivitätsfortschritt weit übertreffen.

In dieses Bild des Politikwandels passt auch, dass kaum jemand mehr über Reformen redet, die auf eine Stärkung der Wachstumskräfte oder mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zielen. Sie werden als „neoliberal“ stigmatisiert und sind derzeit wohl allenfalls noch in einer der fünf im Bundestag vertretenen Parteien mehrheitsfähig. Es scheint, als würde das jahrelange Sperrfeuer gegen den „Neoliberalismus“ zunehmend Wirkung entfalten.

All das entspricht einem langjährigen Strukturmuster der deutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Danach hat eine Politik für mehr Wachstum und Beschäftigung in unserem Land nur so lange eine Chance, wie die Arbeitslosigkeit hoch und die Angst vor weiteren Arbeitsplatzverlusten groß ist. Sobald die Reformen greifen und erste Erfolge sichtbar werden, gewinnen die Protagonisten staatlicher Umverteilung wieder die Oberhand. Sie orten allenthalben so genannte Gerechtigkeitslücken und haben zugleich auch die Patentrezepte dagegen parat. Und jene, die mit süßen Flötentönen durchs Land ziehen und sozialromantische Heilslehren verkünden, gewinnen rasch an Zulauf. So kommt fast unausweichlich die nächste Politikwende, die wieder zunichte macht, was mit unpopulären Reformen zuvor mühevoll erreicht wurde. Diese Gefahr droht heute ganz akut.

Umverteilung kostet Wachstum

Um Missverständen vorzubeugen: Verteilungspolitik ist in einer sozialen Marktwirtschaft eine legitime staatliche Aufgabe. Denn die Kräfte des Marktes führen in der Regel zwar zu effizienten Ergebnissen, nicht aber zwangsläufig zu einer Einkommensverteilung, die als gerecht empfunden wird. Eine auf sozialen Ausgleich gerichtete Steuer- und Sozialpolitik ist – bis zu einem gewissen Grad – systemgerecht und zudem wichtig für die breite Akzeptanz unserer Wirtschaftsordnung. Sozialen Ausgleich gibt es aber nicht zum Nulltarif: Zwischen dem Umverteilungsziel auf der einen Seite und dem Wachstums- und Beschäftigungsziel auf der anderen Seite besteht ein Zielkonflikt. Die Politik muss deshalb sorgsam abwägen zwischen mehr Verteilungsgerechtigkeit einerseits und weniger Beschäftigung und geringerem Wachstum andererseits. Einbußen bei Wachstum und Beschäftigung sind mithin der ökonomische „Preis“ für mehr Umverteilung. Und dieser Preis liegt hierzulande bereits auf einem hohen Niveau.

Gute Wirtschaftspolitik zeichnet sich dadurch aus, dass sie stets beide Ziele im Blick hat. Konkret bedeutet das heute: In einer Zeit, in der die Konjunktur erkennbar kippt, ist es wenig ratsam, die Umverteilungsschraube weiter anzuziehen. Die Folge wäre in hohem Maße unsozial: Die Arbeitslosigkeit würde wieder steigen und gerade jene treffen, die auf dem Arbeitsmarkt den schwierigsten Stand haben – die Geringqualifizierten. Was die Hartz-Reformen an Erfolg gebracht haben, würde im Nu wieder zunichte gemacht.

Agenda für Wachstum und Beschäftigung nötig

Wenn Politik und Gewerkschaften nachhaltigen sozialen Fortschritt erreichen und Armut wirksam bekämpfen wollen, müssen sie jetzt alles daran setzen, die Wachstumskräfte zu stärken und den Arbeitsmarkt zu beleben. Nötig ist eine Agenda, die mindestens folgende Elemente umfasst:
  • eine am Produktivitätsfortschritt orientierte Lohnpolitik,
  • die Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung,
  • Kosten dämpfende Reformen in der sozialen Sicherung, insbesondere in der Krankenversicherung,
  • eine Ausgestaltung der Erbschaftssteuer, die die Unternehmensnachfolge nicht belastet,
  • eine Haushaltspolitik, die bei den konsumtiven Ausgaben konsequent spart und so Spielräume für Schuldenabbau, Zukunftsinvestitionen und Steuersenkungen schafft und
  • eine Steuerreform, die den so genannten Mittelstandsbauch beseitigt und dadurch zusätzliche Leistungsanreize schafft.
Mindestens ebenso wichtig wäre ein klares Signal der beiden großen Volksparteien, in den nächsten Jahren auf Reformen zu verzichten, die die Arbeit verteuern und den Arbeitsmarkt verriegeln. Dadurch ließe sich verlorenes Vertrauen in die deutsche Wirtschaftspolitik und in den Standort Deutschland rasch zurückgewinnen. Und wir wissen ja: Vertrauen ist eine der wichtigsten Grundlagen für wirtschaftliche Prosperität.