Die industrielle Basis sichern!
Von Volker Giersch
Kommentar
01.09.2006
Dennoch können und dürfen wir uns nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen. Denn die Industriebeschäftigung befindet sich in einem Sinkflug, der Anlass zur Sorge gibt: Seit 1990 ging an der Saar, ebenso wie bundesweit, etwa jeder dritte Industriearbeitsplatz verloren. Und dieser Sinkflug ist noch keineswegs beendet. Nicht einmal eine weiche Landung ist in Sicht.
Erst kürzlich hat eine Umfrage des DIHK ergeben, dass die deutsche Industrie im Inland weiterhin Arbeitsplätze abbauen und ihre Investitionen im Ausland nochmals verstärken will. Ursache für den Exodus ist zwar in erster Linie die starke Expansion des Welthandels und der Wunsch, sich besser in den neuen Wachstumsmärkten zu positionieren. Bedenklich stimmt allerdings, dass rund 40 Prozent der jetzt im Ausland investierenden Unternehmen ihre geplanten Investitionen lieber in Deutschland tätigen würden – wenn die Standortbedingungen hierzulande besser wären. In vier von zehn Projekten ersetzt also die Auslandsinvestition eine Investition im Inland – in aller Regel deshalb, weil eine Produktion hierzulande nicht konkurrenzfähig wäre. Es geht also nicht - wie vielfach unterstellt - um mangelnde Vaterlandsliebe, sondern um notwendige Reaktionen auf die Herausforderungen der Globalisierung.
Starke Impulse für Dienstleister und Handwerk
Einer weiteren Deindustriealisierung müssen wir uns mit aller Kraft entgegen stemmen. Denn die Industrie ist noch immer der entscheidende Motor für Wachstum und Beschäftigung. In welchem Ausmaß das der Fall ist, wird weithin unterschätzt, weil wichtige Fakten und Zusammenhänge übersehen werden.
Ins Bild gehört zunächst, dass rund 5 000 Zeitarbeiter, die statistisch dem Dienstleistungsbereich zugerechnet werden, de facto in der Industrie arbeiten und dort unmittelbar in den Wertschöpfungsprozess eingebunden sind. Wirtschaftlich gesehen sind diese Arbeitsplätze der Industrie zuzurechnen.
Zu berücksichtigen ist zudem, dass sich die Schnittstelle zwischen Industrie und Dienstleistungssektor mehr und mehr zum Dienstleistungsbereich verschoben hat – eine Entwicklung, die unter anderem auch durch die relativ hohen Tarifabschlüsse in der Industrie getrieben wurde. Folge ist, dass zahlreiche Leistungen, die vor Jahren noch von den Industrieunternehmen selbst erbracht wurden, heute weitgehend zugekauft werden: Gebäudereinigung, Gartenpflege, Logistik, EDV-Leistungen oder auch Marketing. Die Verflechtung zwischen Industrie und Tertiärbereich hat stark zugenommen. Die Zahl der Dienstleistungsarbeitsplätze, die von der Industrie abhängt, ist gestiegen.
Auch im Handwerk sichert die Industrie einen Großteil der Arbeitsplätze – im Bauhandwerk ebenso wie im Elektrohandwerk und in der Metallverarbeitung. Hier gilt ebenso wie für die unternehmensorientierten Dienstleister: Die wirtschaftlichen Perspektiven werden entscheidend durch die Entwicklung der Industrie bestimmt.
Schließlich sichern die in der Industrie erzielten Einkommen zahlreiche Arbeitsplätze: im Handel, bei haushaltsorientierten Dienstleistern, im Gastgewerbe und wie bei Banken und Versicherungen.
Alles in allem sichert jeder Industriearbeitsplatz etwa 1,5 Arbeitsplätze in anderen Branchen. Im Klartext: Wenn wir es zulassen, dass die industrielle Basis in Deutschland weiter erodiert, haben wir keine realistische Chance, die Arbeitsmarktprobleme zu lösen. Die wenigen Dienstleistungen mit Primäreffekt könnten – selbst bei enormen Wachstumsraten – einen solchen Aderlass niemals ausgleichen.
Zweigwerke prägen die Struktur
Zu einer nüchternen Bestandsaufnahme im Saarland gehört, dass die größten Industriebetriebe Zweigwerke und Tochtergesellschaften weltweit operierender Unternehmen sind. Diese Betriebe stellen zusammen rund drei Viertel aller saarländischen Industriearbeitsplätze. Tendenz steigend. Der Anteil des industriellen Mittelstandes ist entsprechend gering. Tendenz weiter sinkend.
In der Vergangenheit haben wir entscheidend davon profitiert, dass sich die saarländischen Zweigwerke und Tochterunternehmen oftmals sehr erfolgreich entwickelt haben - einige gar zu „ Leitwerken“. Sie konnten expandieren, weil sie in ihrem Umfeld ausreichende Reserveflächen und ein relativ gutes Angebot an Fachkräften vorfanden. Unser Land bot ihnen so den Nährboden für ein rasches Wachstum.
Doch es gibt auch spezifische Risiken. Sie resultieren daraus, dass Mehrbetriebsunternehmen strategische Entscheidungen auf der Grundlage eines knallharten Benchmarking zwischen den einzelnen Betriebsstätten treffen. Damit stellt sich de facto immer wieder die Standortfrage. Wird ein neues Modell oder Produkt im saarländischen Werk oder anderswo im Unternehmen hergestellt? Oder, wenn Konzentration angesagt ist: Wird das saarländische Werk zurückgefahren oder ein anderes?
In aller Regel konkurrieren die Betriebe im Saarland direkt oder indirekt mit Produktionsstätten im Ausland. Die relativ hohen Arbeitskosten, das unflexible Arbeits- und Tarifrecht, die hohen Energiepreise und die zu hohen Unternehmenssteuern erweisen sich da als Standortnachteile, die sich vielfach nicht mehr durch höhere Produktivitäten kompensieren lassen. Die IHKs drängen deshalb mit Nachdruck auf entsprechende Reformen. Denn nur so lässt sich die Erosion der industriellen Basis wirksam stoppen.
Standortaufwertung fortsetzen
Handlungsbedarf besteht aber auch auf Landesebene. Die Landesregierung muss konsequent an ihrem Kurs der Standortaufwertung festhalten. Auf diesem Gebiet ist in den letzten Jahren zwar einiges geschehen. Aber auch andere Bundesländer haben eine erfolgreiche Politik der Standortaufwertung betrieben. Wir dürfen deshalb in unseren Anstrengungen nicht nachlassen.
Anzusetzen ist zunächst bei den saar-spezifischen Sonderlasten: den zu hohen Gewerbesteuersätzen, der überdurchschnittlichen Zahl an Feiertagen, den zu hohen Gesundheitskosten. Bei all diesen Themen gibt es bislang kaum Fortschritte. Die Landesregierung bleibt in der Pflicht.
Mittelstands- und Investitionsförderung auf hohem Niveau fortführen
Spürbare Fortschritte gibt es dagegen bei der Förderung des Mittelstandes. Die Instrumente, mit denen Innovation, Markterschließung, Qualifizierung und Investitionen gefördert werden können, sind effizient und zielgenau. Das Saarland liegt hier im Reigen der Bundesländer auf einem vorderen Platz. Dazu trägt bei, dass Landesregierung, IHK, Handwerkskammer und Wirtschaftsverbände an einem Strang ziehen.
Entscheidend für die Zukunft ist hier, dass das Land weiterhin eine ausreichende Finanzierung der Investitions- und Mittelstandsförderung sicherstellt und so dazu beiträgt, dass die aussichtsreichen Industrie- und Hightech-Unternehmen die Lücken füllen können, die anderswo im Mittelstand durch Insolvenzen entstehen.
Mehr Ingenieure ausbilden
Der inzwischen wohl wichtigste Standortfaktor ist die Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte. Insofern ist es von Vorteil, dass die Saar-Wirtschaft viel in die berufliche Ausbildung junger Menschen investiert. Bekanntlich liegt unser Land bei der Ausbildungsplatzdichte an der Spitze aller westdeutschen Flächenländer. Das schafft Wachstumsspielräume für die Zukunft.
Unbefriedigend ist dagegen, dass sich die Ausbildungsangebote im Hochschulbereich nach wie vor zu wenig an den Erfordernissen der Wirtschaft orientieren. Insbesondere mangelt es an einer hinreichend breiten und differenzierten Ingenieurausbildung an der Universität. Ingenieure sind bereit heute Mangelware – im Saarland ebenso wie auf Bundesebene. Und allen Prognosen zufolge wird sich der Ingenieurmangel in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Deshalb brauchen wir im Industrieland Saarland möglichst rasch ein tragfähiges Konzept für die Ingenieurausbildung an unseren Hochschulen – am besten eines, das eine enge arbeitsteilige Zusammenarbeit zwischen den Saar-Hochschulen und der Uni Kaiserslautern vorsieht.
An all diesen Ansatzpunkten gilt es anzusetzen. Denn: Nicht eine Einzelmaßnahme bringt den Durchbruch. Die Summe macht's!