Export-Weltmeister?
IHK-Präsident Dr. Richard Weber zum Versagen Deutschlands
im Wettbewerb um die besten Köpfe
Kolumne
01.09.2006
Weniger als 900 Wissenschaftler, Hochschullehrer oder andere Spezialisten aus Nicht-EU-Ländern haben im vergangenen Jahr eine sogenannte „Niederlassungserlaubnis“ für die Bundesrepublik erhalten; im ersten Quartal dieses Jahres waren es nicht einmal 140. Nach der alten „Green Card“-Regelung kamen im Spitzenjahr immerhin schon einmal fast 6.500 IT-Spezialisten eingereist, 2004 waren es immer noch gut 2.000. Drastisch zugenommen hat dagegen die Zahl der Deutschen, die ihr Land verlassen: Mit 145.000 Fortzügen registrierte das Statistische Bundesamt für das vergangene Jahr die „höchste registrierte Abwanderung seit 1954“. Zwar gibt es über Bildungsniveau und Sozialstruktur dieser Auswanderer so gut wie keine gesicherten Erkenntnisse. Nach aller Erfahrung handelt es sich dabei jedoch überwiegend um Personen, die nicht nur überdurchschnittlich mobil, sondern auch überdurchschnittlich gut ausgebildet sind.
Sicher ist angesichts dieser Zahlen, dass Deutschland Jahr für Jahr mehr Spitzenkräfte ins Ausland verliert als von dort zu uns kommen. Allein die Tatsache, dass wir so wenig Genaues darüber wissen, ist Teil dieses Problems.
Ist es nicht ein wenig schizophren? Wir sind stolz darauf, wenn deutschstämmige US-Forscher Nobelpreise gewinnen. Wir grämen uns darüber, in der Spitzenforschung weiter an Boden zu verlieren. Aber wir tun wenig dafür, die besten Köpfe im eigenen Land zu halten oder sie wieder zurückzuholen. Am meisten Angst haben wir offenbar davor, Spitzenkräfte aus anderen Ländern in unser Land zu lassen oder sie gar gezielt anzuwerben.
Der „Exportüberschuss“ beim Humankapital ...
Es ist Zeit umzudenken. Nicht nur weil wir immer mehr „ Humankapital“ an andere Länder verlieren. Sondern auch, weil in Deutschland allein aus demografischen Gründen der Nachwuchs immer knapper wird – schon heute scheiden jährlich rund 200.000 mehr ältere Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben aus, als neue Arbeitskräfte nachrücken. In vielen technischen Bereichen gibt es inzwischen schon spürbare Engpässe.
Das Schlimmste daran: Der Mangel an Spitzenkräften verhindert auch die Schaffung komplementärer Arbeitsplätze. So haben Gutachten ergeben, dass jeder der im Rahmen der Green Card-Regelung eingereisten IT-Spezialisten die Schaffung von zwei bis drei zusätzlichen Arbeitsplätzen ermöglicht hat – in anderen Bereichen dürfte das Verhältnis ähnlich sein. Wir sollten deshalb nicht nur alles tun, um unseren eigenen Nachwuchs bestmöglich auszubilden, ihn verstärkt in die Engpassbereiche zu lenken und den besten Köpfen dann auch attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen. Wir müssen auch den Zuzug ausländischer Spitzenkräfte erleichtern.
... mindert Wachstumschancen und Innovationskraft
Die derzeitige Diskussion um Änderung der Zuwanderungsregelungen bietet die Chance, Deutschland im internationalen Wettbewerb um Spitzenkräfte wieder besser zu positionieren. Das derzeit noch vorgeschriebene Mindesteinkommen von rund 85.000 Euro jährlich ist viel zu hoch – fast doppelt so hoch wie etwa in den Niederlanden. Die zwingend vorgeschriebene Arbeitsmarktvorrangprüfung für Spitzenkräfte ist entbehrlich. Der DIHK und andere Wirtschaftsorganisationen haben deshalb erneut vorgeschlagen, die Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt großzügiger zu handhaben und durch ein flexibles Punktesystem zu steuern. Dabei könnten je nach Qualifikation, Berufserfahrung und Sprachkenntnissen der Bewerber Punkte vergeben werden. Ein solches Instrument würde es der Politik ermöglichen, je nach Bedarf unterschiedliche jährliche Zuwanderungszahlen festzulegen und dann die Top-Fachkräfte anzuwerben – schnell, unbürokratisch und wirtschaftsnah. Kanada hat mit einem solchen System die besten Erfahrungen gemacht. Großbritannien führt es gerade ein.
Der Migrationsforscher Prof. Klaus Bade hat es auf den Punkt gebracht: „Deutschland blutet qualitativ an der Spitze aus. Dieser Aderlass bedeutet auf Dauer schwere Einbußen bei der Innovationskraft unseres Landes“. Wie lange wollen wir uns diesen Aderlass noch leisten?