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Familienfreundlichkeit ist Wachstumsvorsorge
Standpunkt
Von Volker Giersch
09.06.2014
Zukunftsbündnis „Fachkräfte Saar“ – das ist die richtige Antwort auf die demografische Herausforderung, die unser Land mit besonderer Härte trifft. Die „gemeinsame Strategie“, auf die sich die Bündnispartner Landesregierung, Wirtschafts- und Arbeitnehmerorganisationen und Arbeitsagentur bereits im Herbst 2011 verständigt hatten, wurde fortgeschrieben und mit einem Bündel von rund 180 Maßnahmen für neun Handlungsfelder konkret unterfüttert. Es geht also voran. Und das ist gut so. Denn wir müssen deutlich mehr tun als andere Regionen, wenn wir mit diesen bei Wachstum und Finanzkraft weiter Schritt halten wollen. Der Jugendschwund fällt hierzulande besonders drastisch aus. Bis 2025 wird die Zahl der jungen Menschen, die unsere Schulen verlassen, um mehr als ein Drittel zurückgehen. Da ist es allerhöchste Zeit, gemeinsam und mit voller Kraft gegenzusteuern.
Klar sein muss dabei folgendes:
Hoffnung macht, dass hier im Land bereits ein positiver Trend angelegt ist: Bei den Frauen unter 35 Jahren haben sich die Erwerbsquoten inzwischen weitgehend an das Bundesniveau angenähert, zum Teil liegen sie schon darüber. Bei den älteren ist der Abstand indes noch beträchtlich, ein Erbe der montanindustriellen Vergangenheit des Landes, die mit viel Schichtarbeit und relativ hohen Einkommen der Bergleute und Stahlkocher verbunden war. Da diese Faktoren Jahr für Jahr an Gewicht verlieren, vollzieht sich ein Teil der Angleichung quasi von selbst. Doch das reicht bei weitem nicht. Nur mit einer offensiven Familienpolitik, die insbesondere auch auf die Arbeitswelt zielt, können wir das vorhandene Potenzial wirklich ausschöpfen.
Zum Befund gehört auch, dass von den Frauen, die in Deutschland erwerbstätig sind, nur gut die Hälfte in Vollzeit arbeitet. In fast allen anderen EU-Ländern sind es deutlich mehr: in Finnland 82 Prozent, in Spanien 77 Prozent, in Italien 72 Prozent und in unserem Nachbarland Frankreich 70 Prozent. Würde es uns gelingen, die Quote Frankreichs zu erreichen, dann stünden rein rechnerisch rund 16.000 weibliche Arbeitskräfte zusätzlich zur Verfügung – eine durchaus beachtliche Größenordnung.
Und das ist noch nicht alles. Denn die teilzeitbeschäftigten Frauen arbeiten deutschlandweit durchschnittlich nur 18,6 Stunden, an der Saar gar nur 18,1 Stunden je Woche. Das ist deutlich kürzer als anderswo. In Frankreich etwa liegt der Vergleichswert bei gut 23 Stunden. Das ist gut ein Fünftel mehr als hierzulande.
Positiv gewendet bedeutet all das: Wir haben die Chance, das Arbeitskräfteangebot im Saarland deutlich auszuweiten und die demografische Herausforderung zu einem beträchtlichen Teil zu meistern, wenn wir für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sorgen. In den Fokus gehören dabei nicht nur Mütter und Väter mit kleineren Kindern, sondern auch Frauen und Männer, die pflegebedürftige Angehörige zu betreuen haben.
Mehr Betreuungsangebote für Kinder
Um Missverständnissen vorzubeugen: Hierbei ist keineswegs allein der Staat gefordert. Auch die Wirtschaft muss sich stärker als bisher engagieren. Nur gemeinsam lässt sich das Ziel erreichen – und zwar mit einer ambitionierten Agenda.
Zunächst muss es mit dem Ausbau der Kinderbetreuung weiter vorangehen. Damit wir im Saarland bei der Beschäftigung von Frauen aufholen können, müssen wir mit der Bundesentwicklung mindestens Schritt halten. Das gilt insbesondere auch für die Nachmittagsbetreuung in Kindergärten und in Schulen (mehr Ganztagsschulen!). Zudem müssen sich die Öffnungszeiten von Kitas und Kindergärten stärker an den Arbeitszeiten der Eltern orientieren. Und es muss mehr Betreuungsangebote auch an Wochenenden und in den Ferien geben.
Keine Frage: All das kostet Geld. Und daran mangelt es mit Blick auf Schuldenbremse und Haushaltsnotlage hierzulande in besonderem Maß. Da hilft, dass die Zahl der Kinder und Jugendlichen in unserem Land deutlich stärker zurückgehen wird als bundesweit – allein bis 2020 um rund ein Fünftel. Je weniger Kinder, desto größer die so genannte demografische Dividende. Einen Teil dieser Dividende brauchen wir für die Haushaltskonsolidierung, den anderen müssen wir in Bildung und Kinderbetreuung investieren – aus bildungspolitischen ebenso wie aus familienpolitischen Gründen.
Familienbewusste Personalpolitik zahlt sich aus
Auch die Wirtschaft muss künftig (noch) mehr tun, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu verbessern. Letztlich liegt es im Interesse der Unternehmen selbst, sich zu attraktiven Arbeitgebern für Frauen zu entwickeln. Viele sind hier bereits auf einem guten Weg. Das hat unser IHK-Wettbewerb „Unternehmen Familie“, den wir gemeinsam mit VSU und Handwerkskammer durchführen, eindrucksvoll gezeigt. Vielfach beginnt familienorientierte Personalpolitik mit flexibler Tages- und Wochenarbeitszeit oder dem Angebot, ein Home-Office zu nutzen. Die Palette der Möglichkeiten reicht aber weit darüber hinaus – von Wiedereinstiegsprogrammen nach der Elternzeit, Geburten- und Kinderbetreuungszuschüssen über Beratungs- und Vermittlungshilfen für Betreuungsplätze oder Tagesmütter bis hin zu konkreten Betreuungsangeboten in Notfallsituationen oder in den Schulferien. In vielen Unternehmen ist familienorientierte Personalpolitik inzwischen ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur. Mehr als 70 dieser Unternehmen konnten wir bereits das Gütesiegel „Familienfreundliches Unternehmen“ verleihen. Die Zielzahl bis Jahresende heißt 150.
Die Praxis zeigt: Eine familienbewusste Personalpolitik zahlt sich auch für die Unternehmen selbst aus. Sie hilft, neue Mitarbeiterinnen zu gewinnen, den Krankenstand gering zu halten und jüngere Fachkräfte an das Unternehmen zu binden.
Mit der Prämierung von best-practice-Lösungen wollen wir dazu beitragen, dass die Saar-Unternehmen voneinander lernen. Das Gütesiegel und der Wettbewerb bleiben deshalb fester Bestandteil unserer IHK-Agenda.
Praktische Unterstützung zu jeder Zeit bietet den Betrieben die Beratungsstelle „Arbeit und Leben im Saarland“ an – eine gemeinsame Einrichtung der Landesregierung und der Wirtschaftsorganisationen, die saar.is angegliedert ist und wesentlich von unserer IHK mit finanziert wird. Die beiden Mitarbeiterinnen informieren und beraten ganz konkret über Ansatzpunkte zu einer familienfreundlichen Personalpolitik und unterstützen die Vernetzung der Betriebe.
Zum Erfolg beitragen können zudem auch Qualifikationsangebote, die auf junge Mütter zugeschnitten sind – etwa die Teilzeitausbildung oder Wiedereinstiegshilfen für Mütter, die nach der Familienphase wieder in ihren Beruf zurückkehren möchten. Der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx sieht Frauen auf allen Feldern der Gesellschaft auf dem Vormarsch – in der Bildung, kulturell, politisch und ökonomisch. Da muss auch die Arbeitswelt „weiblicher“ werden. Nicht deshalb, weil Frauen in vielen Bereichen – und erst recht in Führungspositionen – noch deutlich unterrepräsentiert sind, sondern weil sie im Schnitt auch über eine mindestens gleich gute Qualifikation verfügen – und über Begabungen, die jene des anderen Geschlechts vortrefflich ergänzen. Und nicht zuletzt deshalb, weil in der (Mehr-)Beschäftigung von Frauen das größte „Reservoir“ steckt, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Kurzum: Wir sollten die vielfältigen Chancen, die in einer stärkeren Frauenbeschäftigung liegen, im Saarland konsequent nutzen – unser Land zum Pionierland für Familienfreundlichkeit machen. Zum Vorteil der Frauen und Familien selbst. Aber auch deshalb, weil ein hohes Maß an Familienfreundlichkeit eine der wirksamsten Formen von Wachstumsvorsorge ist.
Klar sein muss dabei folgendes:
- Ein Patentrezept gibt es nicht. Wir müssen stattdessen an vielen Stellschrauben drehen – und zwar energisch.
- Was bisher vereinbart wurde, ist ein guter Anfang. Es wird aber bei weitem nicht ausreichen, die gesteckten Ziele zu erreichen. Wir werden in den nächsten Jahren kräftig nachlegen müssen.
- Nötig ist deshalb neben der Evaluierung einzelner Maßnahmen vor allem eine ständige Erfolgskontrolle im Ganzen. Auf zwei Größen kommt es dabei besonders an: die Erwerbsbeteiligung, die deutlich steigen muss und die Wanderungsbilanz, die wir möglichst rasch ins Positive drehen müssen.
- Selbst wenn es gelingt, die Erwerbsbeteiligung der Saarländer an das Niveau Skandinaviens heranzuführen, wird das nicht reichen. Wir brauchen auch dann noch 40.000 bis 50.000 Fachkräfte von außen, um die demografische Lücke zu schließen.
Hoffnung macht, dass hier im Land bereits ein positiver Trend angelegt ist: Bei den Frauen unter 35 Jahren haben sich die Erwerbsquoten inzwischen weitgehend an das Bundesniveau angenähert, zum Teil liegen sie schon darüber. Bei den älteren ist der Abstand indes noch beträchtlich, ein Erbe der montanindustriellen Vergangenheit des Landes, die mit viel Schichtarbeit und relativ hohen Einkommen der Bergleute und Stahlkocher verbunden war. Da diese Faktoren Jahr für Jahr an Gewicht verlieren, vollzieht sich ein Teil der Angleichung quasi von selbst. Doch das reicht bei weitem nicht. Nur mit einer offensiven Familienpolitik, die insbesondere auch auf die Arbeitswelt zielt, können wir das vorhandene Potenzial wirklich ausschöpfen.
Zum Befund gehört auch, dass von den Frauen, die in Deutschland erwerbstätig sind, nur gut die Hälfte in Vollzeit arbeitet. In fast allen anderen EU-Ländern sind es deutlich mehr: in Finnland 82 Prozent, in Spanien 77 Prozent, in Italien 72 Prozent und in unserem Nachbarland Frankreich 70 Prozent. Würde es uns gelingen, die Quote Frankreichs zu erreichen, dann stünden rein rechnerisch rund 16.000 weibliche Arbeitskräfte zusätzlich zur Verfügung – eine durchaus beachtliche Größenordnung.
Und das ist noch nicht alles. Denn die teilzeitbeschäftigten Frauen arbeiten deutschlandweit durchschnittlich nur 18,6 Stunden, an der Saar gar nur 18,1 Stunden je Woche. Das ist deutlich kürzer als anderswo. In Frankreich etwa liegt der Vergleichswert bei gut 23 Stunden. Das ist gut ein Fünftel mehr als hierzulande.
Positiv gewendet bedeutet all das: Wir haben die Chance, das Arbeitskräfteangebot im Saarland deutlich auszuweiten und die demografische Herausforderung zu einem beträchtlichen Teil zu meistern, wenn wir für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sorgen. In den Fokus gehören dabei nicht nur Mütter und Väter mit kleineren Kindern, sondern auch Frauen und Männer, die pflegebedürftige Angehörige zu betreuen haben.
Mehr Betreuungsangebote für Kinder
Um Missverständnissen vorzubeugen: Hierbei ist keineswegs allein der Staat gefordert. Auch die Wirtschaft muss sich stärker als bisher engagieren. Nur gemeinsam lässt sich das Ziel erreichen – und zwar mit einer ambitionierten Agenda.
Zunächst muss es mit dem Ausbau der Kinderbetreuung weiter vorangehen. Damit wir im Saarland bei der Beschäftigung von Frauen aufholen können, müssen wir mit der Bundesentwicklung mindestens Schritt halten. Das gilt insbesondere auch für die Nachmittagsbetreuung in Kindergärten und in Schulen (mehr Ganztagsschulen!). Zudem müssen sich die Öffnungszeiten von Kitas und Kindergärten stärker an den Arbeitszeiten der Eltern orientieren. Und es muss mehr Betreuungsangebote auch an Wochenenden und in den Ferien geben.
Keine Frage: All das kostet Geld. Und daran mangelt es mit Blick auf Schuldenbremse und Haushaltsnotlage hierzulande in besonderem Maß. Da hilft, dass die Zahl der Kinder und Jugendlichen in unserem Land deutlich stärker zurückgehen wird als bundesweit – allein bis 2020 um rund ein Fünftel. Je weniger Kinder, desto größer die so genannte demografische Dividende. Einen Teil dieser Dividende brauchen wir für die Haushaltskonsolidierung, den anderen müssen wir in Bildung und Kinderbetreuung investieren – aus bildungspolitischen ebenso wie aus familienpolitischen Gründen.
Familienbewusste Personalpolitik zahlt sich aus
Auch die Wirtschaft muss künftig (noch) mehr tun, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu verbessern. Letztlich liegt es im Interesse der Unternehmen selbst, sich zu attraktiven Arbeitgebern für Frauen zu entwickeln. Viele sind hier bereits auf einem guten Weg. Das hat unser IHK-Wettbewerb „Unternehmen Familie“, den wir gemeinsam mit VSU und Handwerkskammer durchführen, eindrucksvoll gezeigt. Vielfach beginnt familienorientierte Personalpolitik mit flexibler Tages- und Wochenarbeitszeit oder dem Angebot, ein Home-Office zu nutzen. Die Palette der Möglichkeiten reicht aber weit darüber hinaus – von Wiedereinstiegsprogrammen nach der Elternzeit, Geburten- und Kinderbetreuungszuschüssen über Beratungs- und Vermittlungshilfen für Betreuungsplätze oder Tagesmütter bis hin zu konkreten Betreuungsangeboten in Notfallsituationen oder in den Schulferien. In vielen Unternehmen ist familienorientierte Personalpolitik inzwischen ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur. Mehr als 70 dieser Unternehmen konnten wir bereits das Gütesiegel „Familienfreundliches Unternehmen“ verleihen. Die Zielzahl bis Jahresende heißt 150.
Die Praxis zeigt: Eine familienbewusste Personalpolitik zahlt sich auch für die Unternehmen selbst aus. Sie hilft, neue Mitarbeiterinnen zu gewinnen, den Krankenstand gering zu halten und jüngere Fachkräfte an das Unternehmen zu binden.
Mit der Prämierung von best-practice-Lösungen wollen wir dazu beitragen, dass die Saar-Unternehmen voneinander lernen. Das Gütesiegel und der Wettbewerb bleiben deshalb fester Bestandteil unserer IHK-Agenda.
Praktische Unterstützung zu jeder Zeit bietet den Betrieben die Beratungsstelle „Arbeit und Leben im Saarland“ an – eine gemeinsame Einrichtung der Landesregierung und der Wirtschaftsorganisationen, die saar.is angegliedert ist und wesentlich von unserer IHK mit finanziert wird. Die beiden Mitarbeiterinnen informieren und beraten ganz konkret über Ansatzpunkte zu einer familienfreundlichen Personalpolitik und unterstützen die Vernetzung der Betriebe.
Zum Erfolg beitragen können zudem auch Qualifikationsangebote, die auf junge Mütter zugeschnitten sind – etwa die Teilzeitausbildung oder Wiedereinstiegshilfen für Mütter, die nach der Familienphase wieder in ihren Beruf zurückkehren möchten. Der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx sieht Frauen auf allen Feldern der Gesellschaft auf dem Vormarsch – in der Bildung, kulturell, politisch und ökonomisch. Da muss auch die Arbeitswelt „weiblicher“ werden. Nicht deshalb, weil Frauen in vielen Bereichen – und erst recht in Führungspositionen – noch deutlich unterrepräsentiert sind, sondern weil sie im Schnitt auch über eine mindestens gleich gute Qualifikation verfügen – und über Begabungen, die jene des anderen Geschlechts vortrefflich ergänzen. Und nicht zuletzt deshalb, weil in der (Mehr-)Beschäftigung von Frauen das größte „Reservoir“ steckt, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Kurzum: Wir sollten die vielfältigen Chancen, die in einer stärkeren Frauenbeschäftigung liegen, im Saarland konsequent nutzen – unser Land zum Pionierland für Familienfreundlichkeit machen. Zum Vorteil der Frauen und Familien selbst. Aber auch deshalb, weil ein hohes Maß an Familienfreundlichkeit eine der wirksamsten Formen von Wachstumsvorsorge ist.