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Ferngesteuert, aber auf Erfolgskurs

Standpunkt
von Volker Giersch

01.05.2012

Es ist kaum zu übersehen: Die Saarwirtschaft verliert Leitungsfunktionen. Sie wird zunehmend von Zentralen gelenkt, die ihren Sitz außerhalb des Saarlandes haben. Die jüngsten Entscheidungen sind uns allen noch präsent: Praktiker hat seine Zentrale von Kirkel von Hamburg verlegt; Peugeot steuert seine Deutschlandaktivitäten künftig von Köln statt von Saarbrücken aus. Beides schmerzt. Aber der Trend ist keineswegs neu: Leitungsfunktionen gehen uns in Wirtschaft und Staat schon seit Dekaden verloren. Erinnern wir uns:
  • In der IT-Branche sind aufstrebende Saar-Unternehmen in den vergangenen beiden Jahrzehnten von größeren Unternehmen außerhalb des Landes übernommen worden: die einstmals eigenständige Dacos GmbH in St. Ingbert – ein Spin-off der Saar-Uni – in den 90er Jahren von der SAP, die Infor business solutions in 2004 von der US-amerikanischen Agilisys, die ehemalige Saarberg-Tochter Saar-Data Anfang 2005 von der Siemens-Tochter ATOS IT und die IDS Scheer vor drei Jahren von der Software AG.
  • Gleiches gilt für die verarbeitende Industrie: Auch hier wurden ehemals eigenständige Unternehmen wie DSD, Saargummi, Röhrenwerke Bous, Koch Transporttechnik und erst kürzlich Wagner Tiefkühlprodukte in größere internationale Unternehmen eingegliedert. Heute stellen Zweigwerke und Tochterunternehmen in der Saarindustrie rund zwei Drittel der Arbeitsplätze.
  • In der Kreditwirtschaft gingen Leitungsfunktionen bereits in den 70er Jahren verloren. Hier gab es einst die Gebr. Röchling-Bank, die ZG Bank, die Deutsche Bank Saar, die Commerzbank-Credit-Bank oder auch die Sogénal (Société générale alsasienne de banque) – jeweils mit eigenem Vorstand oder zumindest mit ausgeprägten Entscheidungskompetenzen hier an der Saar. Heute sind die Geschäftsbanken nur noch mit Filialen im Land vertreten. Eigenständig agieren allein noch die Sparkassen (einschließlich SaarLB) und die Volksbanken. 
  • Auch beim Staat kam es in den vergangenen Jahrzehnten zum Verlust von Entscheidungskompetenzen. Wir beobachten einen schleichenden Abbau der Bundespräsenz.
Anhaltender Trend zur Größe

Das Saarland steht mit dieser Entwicklung keineswegs allein. Negativ betroffen sind auch viele andere deutsche und europäische Regionen – jene vor allem, die eher am nationalen Rand als in der Mitte liegen. Dahinter stehen anhaltende Konzentrationstendenzen und der Trend zur Größe. In praktisch allen Branchen zwingen größenbedingte Vorteile bei Marketing, Einkauf, Vertrieb sowie in Forschung und Entwicklung zu Verbundlösungen und Fusionen. Der europäische Binnenmarkt und die Globalisierung haben diese Tendenz noch erheblich verstärkt.

In diesem Umfeld konzentrieren Großunternehmen ihre Leitungsfunktionen und zentralen Dienste zunehmend in zentral gelegenen Wirtschaftsräumen mit hoher Agglomeration und günstiger Verkehrsanbindung. Neben Kostenvorteilen wollen sie dadurch oftmals auch eine größere Marktnähe erreichen. So war es auch jetzt bei der Standortentscheidung für die gemeinsame Zentrale von Peugeot und Citroen.

Viele Zweigwerke wurden Leitwerke

Man mag den Verlust zentraler Funktionen bedauern, auch deshalb, weil dementsprechend Arbeitsplätze in Management- und FuE-Bereich fehlen. Doch sollte das nicht den Blick dafür verstellen, dass das Saarland mit den vielen unselbständigen Produktionsstätten in den letzten Jahren überwiegend gut gefahren ist. So wurden die saarländischen Werke von Ford, ZF Friedrichshafen, Bosch, Festo, Eberspächer, Fresenius oder Nemak in den Jahren nach ihrer Ansiedlung Zug um Zug ausgebaut - vielfach zu Leitwerken und Technologieführern in ihrem Unternehmensverbund.

Der abwertende Begriff „verlängerte Werkbänke“ ist deshalb völlig fehl am Platz. Mit den Textil- und Bekleidungsbetrieben, die in den 60er und 70er Jahren leerstehende Turnhallen anmieteten und mit angelernten Frauen die Auftragsspitzen der Produktion fertigen ließen, haben die kapital- und technologieintensiven Produktionen des Fahrzeug- und Maschinenbaus so gut wie nichts gemeinsam. Wir sollten froh und stolz sein, dass wir diese High-Tech-Produktionen hier im Land haben. Sie sind nach wie vor eine stabile Stütze für Wachstum und Beschäftigung. Wir sollten ihren Erfolg als Verpflichtung verstehen, diese Werke künftig noch stärker an den Standort zu binden.  

Familienunternehmen erobern Weltmärkte

Im Auge behalten sollten wir auch, dass nach wie vor zahlreiche mittlere und größere Industrieunternehmen ihren Sitz im Saarland haben: Dazu zählen nicht nur Villeroy & Boch, die beiden großen Stahlunternehmen oder die HYDAC-Gruppe, sondern auch erfolgreiche Familienunternehmen wie Hager Electro, Willy Voit GmbH, Brück GmbH, Gebr. Meiser GmbH, Leffer, Naturwaren Theiss, die Ursapharm, Karlsberg, Schröder Fleischwaren oder die Bauunternehmen Gross, Dittgen und OBG. Diese Unternehmen stehen für viele andere, die dem Saarland schon seit Generationen die Treue halten. Nicht wenige von ihnen erobern vom Saarland aus erfolgreich die Weltmärkte, zählen inzwischen zur Gruppe der hidden champions und steuern ausländische Niederlassungen von der saarländischen Zentrale aus.

Insgesamt haben von den 50 größten Industriebetrieben zurzeit knapp 20 ihren Sitz hier im Land. Auch im Dienstleistungssektor finden sich noch viele erfolgreiche Unternehmen, die vom Saarland aus geleitet werden – darunter die SAARLAND Versicherungen, die UKV – Union Krankenversicherung AG, GLOBUS, Möbel Martin oder Kohlpharma.

Es gibt also keinen Anlass, in Resignation zu verfallen. Dass ein beträchtlicher Teil der Betriebe „ferngelenkt“ ist, schmälert keineswegs die Chancen unseres Landes auf weiteren wirtschaftlichen Erfolg. Die vergangenen Jahre, in denen unsere Wirtschaft eine beachtliche Wachstumsdynamik entfaltet hat, machen jedenfalls Hoffnung, dass das Land auch in Zukunft zu den wachstumsstärksten deutschen Regionen zählen kann. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Politik die Weichen in die richtige Richtung stellt.

Standort attraktiv halten

Das bedeutet vor allem, den Wirtschaftsstandort Saarland weiterhin attraktiv und wettbewerbsfähig zu halten. Denn die Konzernzentralen richten sich bei Standort- und Investitionsentscheidungen für ihre Produktionsstätten konsequent nach betriebswirtschaftlichen Kennzahlen. Da haben Werke, die im Benchmarking mit Schwesterwerken nicht vorne liegen, schlechte Karten. Deshalb ist eine wirtschaftsfreundliche Standortpolitik in unserem Land von besonderer Bedeutung. Insbesondere gilt es, für ein ausreichendes Fachkräfteangebot zu sorgen, eine sichere und bezahlbare Stromversorgung zu gewährleisten, die Genehmigungsverfahren kurz zu halten aber auch die Verkehrsanbindung weiter zu verbessern, um den Vorteil der europäischen Zentrallage zu stärken.

Nicht minder wichtig ist es, die Programme der Gründungs-, Mittelstands- und Investitionsförderung weiterhin ausreichend zu dotieren. Denn sie tragen wirksam dazu bei, jenen Teil der Wirtschaft zu stärken, der seine „headquarter“ hier im Land hat: die mittelständische Wirtschaft einschließlich neuer und junger Technologieunternehmen.

Entscheidend ist auch, dass der Arbeitsmarkt weiter flexibel bleibt. Initiativen, die darauf zielen, die Zeitarbeit zu verteuern oder durch gesetzliche Auflagen zu begrenzen, sind deshalb gefährlich. Sie würden die Attraktivität deutscher Standorte beträchtlich schmälern. Aufgrund des hohen Strukturgewichts der Zweigwerke hätte eine solche Politik gerade hier im Saarland besonders negative Auswirkungen.

Offensiv kommunizieren

Notwendig ist überdies ein offensives, auf nachhaltige Wirkung angelegtes „Saarland-Marketing“. Im Falle Peugeot etwa spielte durchaus eine Rolle, dass Citroen erhebliche Schwierigkeiten sah, die jetzt in Köln tätigen Mitarbeiter für einen Wechsel ins Saarland zu gewinnen. Deshalb ist es dringlich, dafür zu sorgen, dass nicht nur wir Saarländer selbst, sondern auch die Nichtsaarländer wissen, wie gut es sich hier im Land leben lässt.

Eine vornehme Aufgabe der Politik muss es zudem sein, mit den Chefs der Zweigwerke vor Ort ebenso wie mit den Lenkern in den Zentralen offensiv und vertrauensvoll zu kommunizieren. Dies nicht nur mit dem Ziel, frühzeitig in Entscheidungsprozesse eingebunden zu werden, sondern auch um auszuloten, welche Erweiterungschancen es für diese Werke gibt und wie wir entsprechende Anreize setzen können. Mehr Ingenieure auszubilden könnte etwa helfen, mehr Entwicklungsaktivitäten ins Land zu ziehen. Auch deshalb wird unsere IHK weiter dafür werben, dass die Ingenieurwissenschaften an Saar-Uni und HTW gestärkt werden. Klar sein sollte zudem: Die Kommunikation mit den Zentralen muss Chef-Sache sein. Die Ministerpräsidentin ist hier ebenso gefordert wie der neue Wirtschaftsminister.