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Gesundheitsprämien statt Bürgerversicherung!

Von Volker Giersch
Kommentar

01.11.2003

Die gesetzliche Krankenversicherung leidet bereits seit Jahren an chronischer finanzieller Schwindsucht. Zwar wird die Schmidt-Seehofer-Reform erste Hilfe bringen. Doch mehr auch nicht. Denn diese zunächst als Jahrhundert-Werk gepriesene Gesetzesänderung entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als reine Notoperation, die an Symptomen kuriert, aber keine nachhaltige Heilung bringt. Eine tiefgreifende Reform, die das System auf eine dauerhaft stabile Grundlage stellt, muss spätestens in drei bis vier Jahren folgen. Darin sind sich die Experten einig. Ansonsten werden die Beitragssätze aufgrund der Demografie explodieren: von den für 2006 angepeilten 12 Prozent auf rund 22 Prozent in 2030.

Zwei konkurrierende Reformmodelle liegen bereits auf dem Tisch. Gesundheitsprämien oder Bürgerversicherung heißt die Alternative. Beide Modelle wurden von der Rürup-Kommission durchgerechnet. Rürup selbst favorisiert bekanntlich das Prämienmodell. Die Festlegung der gesamten Kommission auf dieses Modell scheiterte indes am Widerstand der Gewerkschaftsvertreter. Weitaus klarer hat sich da die von der CDU eingesetzte Herzog-Kommission positioniert. Sie plädiert eindeutig für den Übergang auf Gesundheitsprämien, wenn auch in einer etwas anderen Variante.

Arche Noah mit Leck

Eine beträchtliche Zahl von Fürsprechern hat inzwischen der Vorschlag Bürgerversicherung gefunden. Er sieht vor, dass auf Dauer alle Bürger – also auch Selbständige, Beamte und „ Besserverdiener“ – in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen werden. Zugleich soll die Bemessungsgrundlage für die Beiträge erweitert werden. Neben den Arbeitseinkommen sollen auch die Erträge aus Kapitalanlagen einfließen. Die lohnabhängigen Beitragsteile werden allerdings weiterhin gut 80 Prozent des Prämienaufkommens ausmachen. Die Beiträge sollen wie bisher paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert werden. Um Spielraum für eine Senkung der Beitragssätze zu gewinnen, soll die Bemessungsgrenze von derzeit 3.450 Euro auf künftig 5.100 Euro angehoben werden. Insgesamt könnte der Beitragssatz um zunächst 1,3 Prozentpunkte, in den Folgejahren um weitere 0,7 Punkte sinken.

Ihrem Wesen nach wäre die Bürgerversicherung kaum mehr als eine Ausweitung des heutigen Systems von bisher 85 auf 100 Prozent der erwerbstätigen Bürger. Sie könnte zwar kurzfristig Entlastung an der Finanzfront bringen, würde aber kaum helfen, die demografische Herauforderung erfolgreich zu meistern. Ein Rückfall in die finanzielle Schwindsucht wäre praktisch programmiert. Wir bekämen eine Art Arche Noah mit ständig wachsendem Leck.

Marktwirtschaftliche Lösung...

Eine nachhaltigere Lösung der Probleme verspricht der Übergang auf Gesundheitsprämien, d. h. auf pauschale Beiträge, die jeder Erwachsene für seine Krankenversicherung zahlt. Sie wären für jeden Versicherten einer Kasse gleich, aber von Kasse zu Kasse unterschiedlich.

Im Durchschnitt aller Kassen ergäbe sich nach den Berechnungen der Rürup-Kommission eine monatliche Prämie von rund 210 Euro je erwachsenen Versicherten. Kinder wären freigestellt. Die Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung würden den Bruttolöhnen zugeschlagen. Für den sozialen Ausgleich sieht das Modell steuerfinanzierte Prämienzuschüsse vor, die an Versicherte mit geringem Haushaltseinkommen gezahlt werden.

... mit vier Vorteilen

Das Prämienmodell ist die marktwirtschaftliche Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Es bietet insgesamt vier gewichtige Vorteile: Erstens würden die Beiträge zur Krankenversicherung dauerhaft von den Arbeitseinkommen abgekoppelt. Das käme dem Arbeitsmarkt zugute, würde Investitionen stimulieren und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beitragen.

Zweitens ergäbe sich eine exzellente Chance, unser Gesundheitswesen durch Wettbewerb und Eigenverantwortung effizient zu machen. Das Monopol der kassenärztlichen Vereinigungen wäre aufgehoben, der Wettbewerb zwischen den Leistungsanbietern eröffnet. Die Kassen wären im Wettbewerb um Kunden bestrebt, ihre Prämien möglichst niedrig zu halten. Die Grundlage dazu könnten sie durch individuelle Verträge mit Ärzten und Krankenhäusern schaffen, die ihnen günstige Leistungen auf dem Gesundheitsmarkt sichern. Überdies könnten sie Selbstbeteiligungstarife anbieten, die die Versicherten zu einem sparsamen Umgang mit medizinischen Leistungen anregen. Auf diese Weise wäre es möglich, die immensen Effizienzreserven im Gesundheitswesen zu heben, die auf bis zu 25 Prozent der gesamten Kosten geschätzt werden.

Drittens könnten die Prämien so bemessen werden, dass Altersrückstellungen gebildet werden könnten. Bei den privaten Krankenversicherern ist das bereits gängige Praxis. Es ist höchste Zeit, dass wir durch den schrittweisen Aufbau eines Kapitalstockes auch die gesetzliche Versicherung demografiefest machen. Viertens schließlich würden die steuerfinanzierten Zuschüsse für einen gerechten und zielgenauen sozialen Ausgleich sorgen. Der Ausgleich wäre dort angesiedelt, wo er eigentlich hingehört: im Steuer- und Transfersystem statt in den einzelnen Teilsystemen der sozialen Sicherung.

All diese Gründe sprechen für einen baldigen Systemwechsel hin zu Gesundheitsprämien. Eine Grundsatzentscheidung in diese Richtung wäre ein wichtiges Signal an heimische und internationale Investoren. Sie würde anzeigen, dass sich unser Land ernsthaft aufrafft, seine Strukturprobleme nachhaltig zu lösen, und zwar nicht über wachsende staatliche Umverteilung, sondern über mehr Markt und Wettbewerb. Allein schon dieses Signal würde viel verlorenes Vertrauenskapital zurückbringen. Die Entscheidung sollte deshalb bald fallen. Detailfragen lassen sich anschließend noch klären.