Gesundheitswesen: Auf zur Therapie!
Von Volker Giersch
Kommentar
01.09.2001
Teuer ist vor allem die medizinische Versorgung im Krankenhausbereich. Bei der Verweildauer in den Kliniken erreicht Deutschland seit Jahren internationale Spitzenwerte, bei den Krankenhaus-Tagessätzen ebenfalls. Kostentreibend ist zudem, dass zahlreiche Untersuchungen und Behandlungen, die in anderen Ländern ambulant durchgeführt werden, hierzulande stationär und mithin kostenintensiv erfolgen. Auch im ambulanten Bereich nutzen die Deutschen die Angebote des Gesundheitssystems ausgiebig: Sie gehen durchschnittlich 12 bis 13 Mal im Jahr zum Arzt, die Engländer nur drei bis vier Mal, die Amerikaner gar nur ein Mal. Trotz dieser intensiven ärztlichen Fürsorge sind die Menschen in Deutschland weder auffallend gesünder noch werden sie älter als anderswo.
Offenbar verleitet die gesetzlich verankerte Vollkaskoversicherung dazu, das Angebot an Gesundheitsleistungen übermäßig in Anspruch zu nehmen. Anreize, die Sparsamkeit und Kostenbewusstsein fördern, gibt es praktisch nicht. Die Nutzer kennen nicht einmal die von ihnen verursachten Kosten. Auch für die Anbieter bietet der stark regulierte Markt kaum Anreize, nach Effizienz und Innovation zu streben.
Deutschland könnte sich Ineffizienzen im Gesundheitswesen gewiss noch viele Jahre leisten, wäre da nicht die demographische Entwicklung. Die hat schlicht zur Folge, dass der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung dramatisch emporschnellen wird, wenn nichts geschieht: von 13,5 Prozent heute auf bis zu 25 Prozent im Jahre 2030.
Mehr marktwirtschaftliche Steuerung
Heute schon bewegt sich der durchschnittliche Beitragssatz auf einem historischen Höchstniveau. Binnen Jahresfrist wird er wohl auf rund 14 Prozent steigen. Allein dieser halbe Prozentsatz bedeutet für Versicherte und Arbeitgeber eine Mehrbelastung von mindestens zehn Milliarden DM pro Jahr. Konfuses Kurieren am Symptom, wie wir es aus den zurückliegenden Jahren kennen, hilft nicht mehr weiter. Das chronische Effizienzdefizit ist systembedingt. Wir brauchen endlich eine grundlegende Reform, die auf mehr Eigenverantwortung, mehr Markt und mehr Wettbewerb setzt. Im Idealfall sind drei Reformschritte notwendig, die zeitgleich erfolgen müssen:
- Der Übergang von der Pflichtversicherung (gesetzliche Krankenkassen) zu einer allgemeinen Versicherungspflicht, wie es sie etwa bei der Kfz-Haftpflicht gibt. Sie soll vor allem das medizinisch Notwendige (sogenannte Kernleistungen) abdecken. Die Versicherungspflichtigen können frei zwischen konkurrierenden Anbietern wählen. Die Prämien enthalten keine Umverteilungselemente. Sie orientieren sich nicht mehr wie bisher am Familieneinkommen, sondern richten sich, wie heute schon bei der privaten Krankenversicherung, allein nach den Risikomerkmalen der Versicherten. Der Vorteil: An die Stelle des unfruchtbarerer Wettbewerbs um günstige Versicherungsrisiken (z. B. junge Arbeitnehmer) würde ein fruchtbarer Wettbewerb treten, der auf Preis und Leistung zielt.
- Ausstieg aus der paritätischen Beitragsfinanzierung;
stattdessen, wie vom Bundeswirtschaftsminister vorgeschlagen,
Aufstockung der Bruttolöhne und -gehälter um die
Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung. Der Vorteil: Die
Arbeitnehmer würden als alleinige Prämienzahler stärker als
bisher auf Wirtschaftlichkeit im System drängen. Die
Gewerkschaften würden zu engagierten Mitstreitern für
effizienzorientierte Reformen.
Die Arbeitnehmer würden durch die Neuregelung nicht schlechter gestellt als bisher – weder auf kurze noch auf lange Sicht. Im Gegenteil: Der Verteilungsspielraum würde künftig weniger durch steigende Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung aufgezehrt. Entsprechend mehr bliebe für die Erhöhung der Löhne. - Ausgleich der finanziellen Nachteile, die der Systemwechsel insbesondere für Familien und Geringverdiener mit sich bringt, durch entsprechende Änderungen im Steuersystem, beim Kindergeld und im Bereich der Sozialtransfers. Der Vorteil: Das gewünschte Maß an sozialem Ausgleich ließe sich auf diesem Wege weitaus effizienter herbeiführen als über soziale Komponenten in einzelnen Teilsystemen. Ohnehin erfolgt der soziale Ausgleich im Gesundheitssystem derzeit eher willkürlich als zielgenau. Zwar gibt es in der gesetzlichen Krankenversicherung eine umfangreiche Quersubventionierung von Gutverdienenden zu Geringverdienenden und von Ledigen zu kinderreichen Familien. Doch nehmen weder die „Besserverdienenden“ noch die Beamten und Selbständigen an dieser Solidarfinanzierung teil: Sie sind in aller Regel privat versichert.
Große Effizienzgewinne möglich
Die Begrenzung der Versicherungspflicht auf medizinische Kernleistungen würde den Spielraum für freiwillige Zusatzversicherungen erheblich erweitern. Schon heute sind 7,5 Millionen gesetzlich Krankenversicherte privat zusatzversichert. Nach der vorgeschlagenen Reform würde diese Zahl drastisch steigen. Selbstbeteiligungstarife mit entsprechend günstigen Beitragssätzen würden zur Regel. Ein geschärftes Kostenbewusstsein der Patienten wäre die Folge. Es würde einen gesunden Preis- und Leistungswettbewerb auf der Angebotsseite entfachen.
Zugegeben: Ein solch grundlegender Systemwandel kann nicht von heute auf morgen gelingen – schon gar nicht in dieser idealtypischen Form. Dafür sind die Übergangsprobleme zu komplex. Doch wird die Demographie schon bald eine Kurswende in der Gesundheitspolitik erzwingen. Weg von staatlicher Regulierung, hin zu marktwirtschaftlicher Steuerung, so muss der neue Kurs lauten.
Der Spielraum für Effizienzgewinne ist groß, größer noch als auf den ehemals regulierten Märkten für Telekommunikation, Schienenverkehr und Strom. Dort gab es Fehlsteuerung vor allem auf der Angebotsseite. Im Gesundheitswesen gibt es sie zugleich auf der Nachfrageseite. Entsprechend reicher Lohn winkt bei einer Politik der zupackenden Hand.
Also: Diagnose klar, Heilung möglich. Auf geht’s zur Therapie!