Im Kern steckt die Kraft
IHK-Hauptgeschäftsführer Volker Giersch zur
Wachstumsvorsorge
Kommentar
01.10.2004
Die neuen Betriebe der 60er und 70er Jahre prägen die Entwicklung unserer Wirtschaft bis heute. Ihnen ist es ganz wesentlich zu verdanken, dass wir die massiven Arbeitsplatzverluste bei Kohle und Stahl weitgehend ausgleichen konnten und dass unsere Wirtschaft im neuen Jahrtausend besser gelaufen ist als im Bund. Zum Erfolg beigetragen haben freilich auch die wieder erstarkte Stahlindustrie und nicht zuletzt einige saarländische Erfolgsgeschichten wie die IDS Scheer, die Cosmos oder Kohlpharma.
Im Kern ist das Saarland aber nach wie vor ein Industrieland. Die Industrie stellt direkt rund 100.000 Arbeitsplätze und sichert überdies einen beträchtlichen Teil der Beschäftigung in Handwerk, Handel und Dienstleistungsbereich.
Zweigwerke prägen die Struktur
Die größten Industriebetriebe an der Saarindustrie sind Zweigwerke und Tochtergesellschaften weltweit operierender Unternehmen. Sie stellen zusammen rund drei Viertel aller saarländischen Industriearbeitsplätze. Tendenz steigend. Ihnen ist gemeinsam, dass strategische Entscheidungen über ihre Zukunft meist außerhalb des Saarlandes fallen – in den Zentralen der Unternehmen. Das bringt Chancen aber auch Risiken mit sich.
Von den Chancen haben wir in der Vergangenheit reichlich profitiert. Die saarländischen Werke haben sich oftmals erfolgreicher entwickelt als die Schwesterbetriebe in anderen Regionen – einige gar zu „Leitwerken“. Zum einen lag das daran, dass in den saarländischen Betrieben Systeme, Produkte und Komponenten hergestellt werden, die relativ gut im Markt liegen (z. B. Dieseleinspritztechnik, Automatikgetriebe, Katalysatortechnik). Zum anderen spielte eine Rolle, dass die Betriebe in ihrem Umfeld ausreichende Reserveflächen und ein relativ gutes Angebot an Fachkräften vorfanden. Unser Land bot ihnen also reichlich Nährboden für ein rasches Wachstum.
Eine Chance für die Zukunft liegt darin, dass die Zentralen ihren saarländischen Fertigungsstätten zusätzliche Management- und Entwicklungsaufgaben übertragen und so hochwertige Arbeitsplätze im Saarland zuwachsen. Erste Ansätze dazu sind bereits zu erkennen.
Doch es gibt auch spezifische Risiken. Sie resultieren daraus, dass Mehrbetriebsunternehmen strategische Entscheidungen auf der Grundlage eines knallharten Benchmarking zwischen den einzelnen Betriebsstätten treffen. Damit stellt sich immer wieder die Standortfrage. Wird ein neues Modell oder Produkt im saarländischen Werk oder anderswo im Unternehmen hergestellt? Wird an der Saar oder anderswo geforscht und entwickelt? Oder, wenn Konzentration angesagt ist: Wird das saarländische Werk oder ein anderes geschlossen? Wie die Entscheidungen fallen, hängt letztlich von der Kostensituation im Saarland und von den hier erreichbaren Produktivitäten ab. Die Landespolitik ist und bleibt deshalb gefordert, die Standortbedingungen in unserem Land weiter zu verbessern.
Standortaufwertung fortsetzen!
In einigen Bereichen haben wir bereits erkennbare Fortschritte erzielt. Die Senkung der überhöhten Gewerbesteuersätze gehört ebenso dazu wie die Qualitätsoffensive in der Bildung und die Novellierung des Weiterbildungsurlaubsgesetzes. In anderen Bereichen sind die Probleme noch ungelöst: Die Entsorgungskosten sind überhöht, die Beiträge der Krankenkassen liegen über dem Durchschnitt, die Ausfalltage durch Krankheit sind höher, es gibt mehr Feiertage und es hapert – trotz guter Ansätze – auch noch bei der Qualität der Schulen.
Zu den wohl wichtigsten Standortfaktoren für die Industrie zählt inzwischen die Verfügbarkeit von qualifizierten Fachkräften, insbesondere auch von Hochschulabsolventen. Bereits heute beklagt die Wirtschaft einen Mangel an Ingenieuren – bundesweit und auch im Saarland. Vieles deutet darauf hin, dass sich dieser Mangel in den nächsten Jahren noch deutlich verschärfen wird. Nach einer VDI-Studie werden vor allem Elektrotechniker und Maschinenbauingenieure fehlen.
Mehr Ingenieure ausbilden
Andere Bundesländer forcieren ihre Ingenieurausbildung bereits – als Wachstumsvorsorge für ihre Industrie. Auch unser Land sollte rasch auf einen offensiven Kurs einschwenken. Das ist umso dringlicher, als es sich für die Unternehmen seit jeher als schwierig erweist, qualifizierte Ingenieure von außen ins Land zu ziehen. Ziel muss es deshalb sein, möglichst viele junge Menschen im Lande selbst für ein Ingenieurstudium zu gewinnen und junge Ingenieurstudenten aus anderen Regionen anzulocken. Beides erfordert ein breiteres und attraktiveres Studienangebot als wir es heute haben. Wir müssen bei der Ausbildung von Ingenieuren im Hochschulranking weiter nach vorne kommen. Dazu brauchen wir endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept, das sowohl die Uni als auch die HTW einbezieht.
Parallel dazu gilt es, die Forschungskapazitäten im Bereich „ Innovative Produktion/Automatisierungstechnik“ stärker als bisher zu bündeln und gezielt auszuweiten. Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Sie müssen jetzt weiter konkretisiert und dann zügig umgesetzt werden. Gerade der Bereich der innovativen Produktionstechnik bietet reichlich Potenzial für Kooperationen zwischen der Forschung und unserer heimischen Wirtschaft.
All das ist nötige Wachstumsvorsorge für die Industrie. In deren Kern steckt noch viel Kraft für die Zukunft – Kraft, die es durch eine beherzte Standortpolitik zu aktivieren gilt.