In dubio pro libertate!
Von Volker Giersch
Kommentar
01.06.2001
In der Tat sind die Gewerkschaften die eigentlich Begünstigten. Das Reformwerk festigt ihre Position in der Breite der Branchen. Insbesondere aber ebnet es ihnen den Weg in die sog. „new economy“, wo die Gewerkschaften bisher nur spärlich vertreten sind und Boden gutmachen möchten. Beispiel Saarland: Hier hat die neue Gewerkschaft ver.di bereits ihre begehrlichen Blicke auf das IT-Flaggschiff IDS Scheer gerichtet.
Die Bedenken gegen die Novelle wurden vielfach bereits bis ins Einzelne hinein dargestellt. Auch in diesem Journal. Die Argumente sind ausgetauscht und nachlesbar. Insofern hier nur der obligatorische Hinweis: Zu Risiken und Negativwirkungen fragen Sie Ihre IHK oder die Verbände.
Mehr Demokratie in der Marktwirtschaft?
Dennoch: Es lohnt sich – auch gegen Ende der Debatte - nochmals zum Grundsätzlichen zurückzukehren, zum ideologischen Geist sozusagen, aus dem die Novelle gewachsen ist. Dieser kommt trefflich zum Ausdruck in der ebenso plakativen wie verführerischen Formel: „Die Demokratisierung darf nicht vor der Wirtschaft halt machen.“
Verführerisch ist diese Formel, weil die Forderung nach mehr Demokratie gerade hierzulande intuitive Zustimmung aus. Zu Recht, wenn es um die Verfassung unseres Staates geht. Denn Demokratie ist die freiheitlichste aller Staatsformen. Zu Unrecht allerdings, wenn es um den bestmöglichen Ordnungsrahmen für unsere Wirtschaft geht. Denn Demokratie ist alles andere als eine Erfolg versprechende Rezeptur zur Gestaltung einer Wirtschaftsordnung. Ebenso wenig taugt sie als Muster für die Organisation einzelner Unternehmen.
Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene liefe „Demokratisierung der Wirtschaft“ letztlich darauf hinaus, die Marktmechanismen außer Kraft zu setzen und die Regie über die Wirtschaft (demokratisch legitimierten) staatlichen Instanzen zu übertragen. Wirtschaftsdemokratie in diesem Sinne hatten wir freilich schon! Damals in den sozialistischen Volksdemokratien mit ihren zentralgelenkten Planwirtschaften. Sie haben sich bekanntlich nicht gerade als Erfolgsmodell erwiesen.
Es bleibt dabei: Zur Demokratie als freiheitliche Staatsform passt auf geradezu ideale Weise die (soziale) Marktwirtschaft als gleichermaßen freiheitliche wie effiziente Wirtschaftsverfassung. Beide Systeme gewährleisten ein Höchstmaß an Freiheit für den Einzelnen und wirksame Machtkontrolle für das Ganze. Der Wahlbürger entscheidet darüber, welche Partei mit welchem Programm regiert, der Konsument, welche Unternehmen sich mit welchen Produkten am Markt durchsetzen. Für Ersteres bedarf es demokratischer Wahlverfahren, für Letzteres allein der Steuerungsmechanismen des Marktes. Demokratische Lenkung passt nicht ins System der Marktwirtschaft. Sie würden die Souveränität der Konsumenten zwangsläufig beschneiden. Und das kann nicht gewollt sein.
Demokratisierte Unternehmen?
Bleibt die Frage: Was verspricht Demokratisierung auf betrieblicher Ebene? In letzter Konsequenz würde es bedeuten, die Unternehmen nach den Prinzipien der Demokratie aufzubauen und zu steuern. Aus „Alle Macht dem Volk“ würde „Alle Macht den Arbeitnehmern“. Diese hätten in geheimen Wahlen ein Arbeitnehmerparlament zu wählen, das seinerseits per Mehrheitsentscheidung eine Unternehmens-Regierung (sprich Vorstand oder Geschäftsführung) einzusetzen hätte. Alle wichtigen Entscheidungen bedürften gesetzgeberischer Initiativen dieser Regierung, ausgiebiger Beratungen in parlamentarischen Ausschüssen, garniert mit Experten-Hearings, und schließlich der mehrheitlichen Zustimmung des Arbeitnehmer-Parlaments. Eine parlamentarische Opposition würde im besten Falle für alternative Lösungen streiten, im schlimmsten Falle Obstruktion betreiben. Zur Bildung einer tragfähigen Eigenkapitalbasis hätten die Arbeitnehmer risikobehaftete Kapitaleinlagen zu leisten.
Eine attraktive Vision? Wohl kaum! Denn demokratische Entscheidungsstrukturen tendieren dazu, eher schwerfällig zu sein. Sie passen nicht zu Unternehmen, die im globalen Wettbewerb stehen und nur überleben können, wenn sie konsequent auf Tugenden wie Schnelligkeit, Flexibilität und Innovationskraft setzen. Reformstaus, wie sie sich in unserer staatlichen Demokratie bilden, wären für Unternehmen geradezu tödlich. Sind da nicht unsere Universitäten ein mahnendes Beispiel? In den siebziger Jahren haben wir sie Zug um Zug demokratisiert und zu Gremienhochschulen entwickelt. In der Folgezeit sind viele von ihnen mehr und mehr international ins Abseits geraten.
Zugegeben: Volle Demokratie in den Unternehmen wollen die Protagonisten der Mitbestimmungsnovelle bislang nicht. Eine Beteiligung der Arbeitnehmer an unternehmerischen Risiken ist gar verpönt. Angesagt ist lediglich eine auf Mitspracherechte begrenzte Teildemokratisierung, sprich Mitbestimmung ohne Mitverantwortung. Bleibt die Frage: Macht ein bisschen Demokratie mehr Sinn als ein bisschen Frieden oder ein bisschen schwanger? Und: Kann ein bisschen Demokratie gut sein, wenn mehr Demokratie falsch und schädlich ist?
Doch warum theoretisch streiten? Lässt nicht unsere marktwirtschaftliche Ordnung breiten Spielraum für entsprechende empirische Experimente? Hätten sich stärker mitbestimmte Unternehmen nicht längst am Markt etablieren und durchsetzen müssen, wenn sie anderen überlegen wären? Fakt ist: Es gibt sie nicht – weder in Deutschland noch anderswo! Jedenfalls nicht nach dem Muster des deutschen Mitbestimmungsrechts.
Für mehr Mitarbeiterbeteiligung
Fakt ist auch, dass die Unternehmen längst begriffen haben, dass sie im Wettbewerb umso erfolgreicher sind, je stärker sie ihre Mitarbeiter in die betrieblichen Informations- und Entscheidungsprozesse einbinden und je mehr Verantwortung sie ihnen übertragen. Nur wenn alle kräftig in die Ruder greifen und in die gleiche Richtung rudern, winkt der Erfolg. Wege zu diesem Erfolg gibt es inzwischen in großer Vielfalt. Ein Weg heißt Mitarbeiterbeteiligung. Er erfreut sich weltweit wachsender Beliebtheit, insbesondere bei den meist noch jungen Unternehmen der „new economy“. IHK, Handwerkskammer und VSU haben zu Beginn des Jahres eine Offensive für mehr Mitarbeiterbeteiligung gestartet. Sie werben gemeinsam für diese freiwillige Form, die Mitarbeiter verstärkt in die Unternehmen einzubinden.
Die gesetzlich verankerte Mitbestimmung deutscher Prägung ist dagegen „out“. Die internationale Wirtschaftswelt hat über sie längst ein klares Urteil gefällt: Am deutschen Mitbestimmungswesen will niemand in der Welt genesen.
Andernorts orientiert man sich eher an der in Deutschland weniger geliebten Maxime: In dubio pro libertate! Im Zweifel für freien Gestaltungsraum. Wir brauchen auch hierzulande mehr Freiraum für maßgeschneiderte betriebsindividuelle Lösungen statt starrer gesetzlicher Normen. Wir brauchen mehr Marktwirtschaft in unserer Demokratie und nicht mehr Demokratie in unserer Marktwirtschaft.