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Markt-Jobs statt Ein-Euro-Jobs

Hauptgeschäftsführer Volker Giersch über Wege zum Abbau der
Langzeitarbeitslosigkeit
Kommentar

01.11.2004

Ein neues Instrument der Arbeitsmarktpolitik geht in diesen Tagen in die Umsetzung: die sogenannten „Ein-Euro-Jobs“. Sie bieten Empfängern des Arbeitslosengeldes II, in der Regel also Langzeitarbeitslosen, die Möglichkeit, ihr Transfereinkommen aufzustocken, wenn sie gemeinnützige Arbeiten übernehmen; dies gegen eine „Mehraufwandsentschädigung“ von einem bis zwei Euro pro Stunde.

Gemeinnützige Beschäftigung dieser Art zielt grundsätzlich in die richtige Richtung. Sie entspricht dem Grundsatz, dass solidarische Hilfe der Gemeinschaft nur der verdient, der im Gegenzug bereit ist, selbst etwas für die Gemeinschaft zu tun. Und sie trägt dazu bei, Langzeitarbeitslose wieder an regelmäßige Arbeit zu gewöhnen und sie durch „learning on the job“ auf eine Tätigkeit im ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten.

Im kommenden Jahr sollen bis zu 750 000 solcher Jobs geschaffen werden. Das ist eine stattliche Zahl. Jeder dritte Langzeitarbeitslose hat dann rechnerisch die Möglichkeit, sein Einkommen durch gemeinnützige Arbeit aufzubessern.

Das Übel bei der Wurzel packen!

Gesamtwirtschaftlich helfen die Ein-Euro-Jobs freilich nur dann, wenn sie – wie vom Gesetzgeber vorgesehen – strikt auf gemeinnützige und zusätzliche Tätigkeiten begrenzt werden. In keinem Fall dürfen sie reguläre Arbeit verdrängen. Ansonsten wäre der Schaden größer als der Nutzen. Die IHKs werden die praktische Umsetzung deshalb mit Argus-Augen beobachten.

Klar sein muss überdies, dass solch gemeinnützige Arbeit das Problem Langzeitarbeitslosigkeit zwar zu lindern, nicht aber zu lösen vermag. Letzteres kann nur mit einer Therapie gelingen, die an den Wurzeln des Übels ansetzt.

Vom Kombilohn „Stütze“ plus Schwarzarbeit ...

Ein Missstand ist zunächst, dass es sich für viele Landzeitarbeitslose nicht rechnet, reguläre Arbeit anzunehmen. Allzu oft sind Arbeitslosen- und Sozialhilfe ähnlich hoch oder höher als die Nettoeinkommen, die sich im Niedriglohnsegment erzielen lassen. Das gilt erst recht, wenn der Arbeitslohn mit einem Kombilohn aus „Stütze“ und Schwarzarbeit konkurrieren muss. Und das ist eher die Regel als die Ausnahme. Viele Arbeitslose stehen dem Arbeitsmarkt deshalb faktisch nicht zur Verfügung.

So ist es jedenfalls bislang. Doch wird sich die Lage gründlich ändern, wenn Hartz IV zum Jahreswechsel in Kraft tritt. Dann gilt jede legale Arbeit als zumutbar. Und jedem, der zumutbare Arbeit ablehnt, drohen Sanktionen – bis hin zur vollständigen Streichung des Arbeitslosengeldes. Wer Arbeit annimmt, kann dagegen mehr hinzuverdienen als bisher; er hat dann in jedem Fall mehr Geld in der Tasche als derjene, der nicht arbeitet. Kurzum: Es gibt stärkere Anreize und auch mehr Druck, Arbeit aufzunehmen. Die soziale Hängematte wird zum Trampolin. Die „Stütze“ zur aktivierenden Hilfe.

Freilich kann das nur fruchten, wenn es neben den Ein-Euro-Jobs genug reguläre Arbeit für Geringqualifizierte gibt. Daran mangelt es mehr denn je. Der Grund: Die Arbeitskosten für einfache Tätigkeiten sind hierzulande zu hoch. Arbeitsplätze mit geringer Wertschöpfung rechnen sich nur selten – schon gar nicht im Vergleich zu konkurrierenden Standorten in Osteuropa und Asien. Überproportionale Zuwächse in den unteren Lohngruppen haben ebenso dazu beigetragen wie der starke Anstieg der Lohnnebenkosten und der verschärfte internationale Wettbewerb. Einem Großteil der Arbeitslosen – vor allem jenen mit geringer Qualifikation – ist der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt deshalb faktisch versperrt.

... zum Kombilohn Arbeitseinkommen plus ergänzende Hilfe

Die Konsequenz? Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass einfache Arbeit wieder bezahlbar wird; wir brauchen marktgerechte Löhne für einfache Tätigkeiten. Nur dann kann und wird die Wirtschaft genug Arbeitsplätze für Geringqualifizierte bereitstellen. Mit diesem Ziel sind all jene gesetzlichen und tarifvertraglichen Regelungen abzuschaffen, die die Lohnskala nach unten begrenzen. Und: Ein gesetzlicher Mindestlohn wäre der diametral falsche Schritt.

Dass die Gewerkschaften massiv gegen solche Lösungen opponieren, liegt auf der Hand. Doch darauf kann und darf die Politik nicht länger Rücksicht nehmen. Zum einen, weil die Kosten der überbordenden Arbeitslosigkeit nicht mehr finanzierbar sind. Zum anderen, weil es zutiefst unsozial ist, Mitbürger, die nur eingeschränkt leistungsfähig sind, faktisch in die Arbeitslosigkeit zu verbannen. Menschen mit geringer Qualifikation oder anderen Einschränkungen gibt es überall in Deutschland. Die meisten von ihnen sind arbeitswillig und auch arbeitsfähig. Schon um ihrer Menschenwürde willen müssen wir ihnen endlich eine auskömmliche Erwerbsperspektive bieten.

Dazu gehört selbstverständlich auch eine tragfähige soziale Flankierung. Konkret: Der Staat muss Geringverdienern lohnergänzende Zuschüsse gewähren, wenn die Arbeitseinkommen nicht ausreichen, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Solche Kombilöhne aus marktgerechten Niedriglöhnen und steuerfinanzierten Zuschüssen gibt es in Ländern wie den USA, Großbritannien, Kanada oder Finnland schon seit Jahren. Ein Vergleich der Arbeitslosenquoten zeigt: Der Weg verspricht Erfolg. Und er trägt wirksam dazu bei, die Schwarzarbeit einzudämmen.

Die Einsicht, dass wir entsprechende Rahmenbedingungen auch in Deutschland schaffen müssen, wächst. Bleibt zu hoffen, dass sich in nächster Zeit die nötigen politischen Mehrheiten dafür finden. Dann werden wir auf arbeitsmarktpolitische Krücken wie die „ Ein-Euro-Jobs“ schon bald verzichten können.