Mehr Arbeit für Geringqualifizierte
Von Volker Giersch
Kommentar
01.11.2001
Dass so viele Geringqualifizierte in Deutschland ohne Arbeit sind, hat vor allem zwei Gründe: Erstens liegen die Arbeitskosten für einfache Tätigkeiten hierzulande auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Dazu haben deutlich überproportionale Zuwächse in den unteren Lohngruppen ebenso beigetragen wie der starke Anstieg der Lohnnebenkosten seit der Vereinigung. In der Metallindustrie etwa kostet ein Arbeitsplatz in der untersten Lohngruppe alles in allem rund 40.000 DM im Jahr. Arbeitsplätze mit geringer Wertschöpfung rechnen sich bei solch hohen Kosten nicht. Es gibt sie deshalb vorwiegend in der Schatten-Wirtschaft, kaum aber auf dem regulären Arbeitsmarkt.
Der zweite Grund: Auch für Arbeitslose rechnet sich reguläre Arbeit allzu oft nicht. Denn Lohnersatzleistungen und Sozialhilfe sind hierzulande so bemessen, dass viele Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger ihr Netto-Einkommen nicht oder nur geringfügig steigern können, wenn sie Arbeit aufnehmen. Sie sind in der sogenannten Armutsfalle gefangen und stehen dem Arbeitsmarkt faktisch nicht zur Verfügung. Arbeitslosen, die angebotene Arbeitsplätze ablehnen, drohen zwar Sanktionen. In der Praxis wird davon aber nur selten Gebrauch gemacht. Insgesamt hat das Netz der sozialen Sicherung in Deutschland noch allzu sehr den Charakter einer Hängematte. Länder wie Großbritannien, Dänemark und Niederlande haben es längst zum Trampolin umgestaltet.
Was zu tun ist liegt auf der Hand: Zum einen gilt es, die Arbeitskosten für einfache Tätigkeiten so weit zu senken, dass sich diese künftig rechnen. Zum anderen sind stärkere finanzielle Anreize aber auch Sanktionen notwendig, damit Arbeitslose wieder Arbeit aufnehmen. Dabei muss klar sein: Eines von beiden reicht nicht. Erst beides zusammen verspricht Erfolg.
Modellversuche....
Seit Mitte des vergangenen Jahres fördert die Bundesregierung in mehreren Ländern Modellversuche. Sie sollen ausloten, welche Instrumente in der Praxis am besten taugen. Das ist gut so. Leider haben diese Versuche jedoch einen grundlegenden Webfehler. Sie setzen entweder nur auf der Angebots- oder nur auf der Nachfrageseite an, statt auf beiden Seiten zugleich. Zudem wurden die Konditionen äußerst restriktiv gefasst.
Einer dieser Modellversuche läuft seit gut einem Jahr im Saarland. Er beruht auf einem Vorschlag der Saar-Gemeinschaftsinitiative und wird bundesweit inzwischen als SGI-Modell bezeichnet. Er sollte zeigen, wie viel Arbeitsplätze am unteren Ende der Lohnskala zusätzlich entstehen können, wenn die Arbeitskosten gesenkt werden. Mit diesem Ziel erhalten die Arbeitgeber im Saarland Zuschüsse zu den Beiträgen zur Sozialversicherung; dies allerdings nur für Arbeitsplätze, die zusätzlich geschaffen werden und für eine Förderdauer von höchstens drei Jahren. Die Idee war gut, ihre Umsetzung mangelhaft.
Das Hauptproblem: Der Bundesarbeitsminister hat entschieden, dass die Zuschüsse nicht mit den Fördermaßnahmen der Arbeitsverwaltung kumuliert werden können. Dies wiegt schwer, weil sich die Bewerber für Niedriglohnarbeitsplätze ganz überwiegend aus der Schar der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger rekrutieren. Gerade für diese Personengruppe bieten die Arbeitsämter und auch die Kreise bereits seit Jahren eine Vielzahl attraktiver Eingliederungshilfen an. Die Förderbeträge liegen in der Regel bei einem Mehrfachen der SGI-Zuschüsse. Wie nicht anders zu erwarten, entscheiden sich die Arbeitgeber, wenn immer möglich, für den höheren Zuschuss. Um dies herauszufinden hätte es freilich keines Modellversuchs bedurft.
.... mit grundlegenden Webfehlern
Folge des unzureichenden Modelldesigns ist, dass es im Saarland bislang erst 100 Förderfälle gibt. Von den vorgesehenen Fördermitteln ist erst ein kleiner Bruchteil abgeflossen; dies trotz einer groß angelegten Informationskampagne der Arbeitsverwaltung. Der Bundesarbeitsminister hatte ursprünglich mit mehreren tausend Fällen gerechnet. Damit es nicht zu viele werden und das vorgesehene Budget nicht überschritten wird, wurde die individuelle Förderdauer – entgegen massiven Vorbehalten der SGI – in der ersten Modellphase gar auf 18 Monate verkürzt. Das machte den Saar-Versuch gänzlich unattraktiv. Erst Mitte diesen Jahres konnte das Saarland die Verlängerung auf 36 Monate durchsetzen.
In der bundesweiten Presse werden die Modellversuche inzwischen als „Flop“ bezeichnet – besonders, so das Handelsblatt, das SGI-Modell. Dies ist dem Image unseres Landes nicht gerade zuträglich. Zudem gibt es bereits Stimmen, die das Scheitern des Saar-Versuchs als Beweis dafür zitieren, dass geringere Arbeitskosten in den unteren Lohngruppen kaum zusätzliche Arbeitsplätze bringen. Diese Schlussfolgerung ist ebenso unzulässig wie falsch.
Was ist zu tun? Zunächst könnte das Saarland nochmals mit geballter politischer Kraft eine Aufhebung des Kumulierungsverbotes anstreben. Noch ist Zeit dafür. Noch können mit einem besseren Modelldesign viele hundert zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Signale aus Berlin sind allerdings wenig ermutigend.
Wege aus der Armutsfalle
Ansonsten bleibt nur die Hoffnung, dass es auf Bundesebene möglichst rasch zu entsprechenden Reformen kommen wird. Vor den Wahlen im kommenden Herbst ist dies zwar kaum denkbar, danach aber schon. Die Einsicht, dass die strukturelle Arbeitslosigkeit nachhaltig nur durch entsprechende Strukturreformen eingedämmt werden kann, wächst jedenfalls.
Ursachengerecht wäre es, zunächst jene gesetzlichen und tarifvertraglichen Regelungen aufzuheben, die die Lohnskala nach unten begrenzen. Dann könnten sich auch für einfache Tätigkeiten marktgerechte Löhne und Gehälter bilden. Zahlreiche neue Arbeitsplätze würden entstehen. Flankierend dazu müssten die Nettoeinkommen für Niedriglohnempfänger durch Transferzahlungen soweit aufgestockt werden, dass die Gesamteinkommen Arbeitslosengeld und Sozialhilfe deutlich überschreiten. Denn Arbeit muss sich lohnen. Schließlich muss es zur Regel werden, dass Arbeitsfähige, die nicht arbeitswillig sind, keine staatliche Hilfe mehr erhalten. Vergleichbare Lösungen gibt es unter dem Stichwort „negative Einkommensteuer“ bereits in den USA, in Großbritannien, Kanada und Finnland. Ein Blick in die Arbeitslosenstatistik zeigt den Erfolg.
Ob wir hierzulande eine solche Lösung oder eine andere präferieren, ist letztlich zweitrangig. Entscheidend ist, dass das Problem in Kürze energisch angepackt und nachhaltig gelöst wird. Denn wir können es uns auf Dauer nicht leisten, dass so viele Geringqualifizierte ohne Arbeit sind.