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'Mehr Eigenverantwortung für die Schulen - mehr Wettbewerb zwischen den Schulen'

Zitate aus der Forums-Rede von IHK-Präsident Dr. Richard
Weber
Kolumne

01.11.2001

Die Bildungspolitik entscheidet letzten Endes darüber, in welcher Qualität und Quantität der Rohstoff „Wissen und Können“ in unserer Gesellschaft verfügbar ist. Bildungspolitik ist so gesehen der substanzielle Kern der Wachstumspolitik. Oder bildlich ausgedrückt: Die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes beginnt im Klassenzimmer.

Unsere Bildungspolitik steht seit langem – seit allzu langem – im Spannungsfeld eines tiefgreifenden Ideologiestreits. Die Gegenpole heißen: Gleichheit der Chancen am Anfang des Bildungswegs oder Gleichheit der Ergebnisse an dessen Ende. Ich glaube, dass wir in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten allzu sehr die Nivellierung im Auge hatten.

Es ist allerhöchste Zeit, dass wir uns künftig wieder klar zum Prinzip „Chancengleichheit“ bekennen und unsere Bemühungen auf die bestmögliche Förderung aller Begabungen konzentrieren. Nur mit einem solchen Ansatz können wir das ganze Potenzial unterschiedlicher Fähigkeiten wirklich ausschöpfen. Nur in einer solchen Differenzierung können sich Spitzenleistungen entwickeln – Spitzenleistungen, die wir dringend brauchen, um im internationalen Wettbewerb nicht zurückzufallen..... Zum Ziel gleicher Startchancen passt am besten ein gegliedertes Schulsystem.

Haben wir den Lehrern nicht allzu viele Sanktionsmittel aus den Händen genommen? War es richtig, den Einsatz von Sanktionen durch bürokratischen Aufwand so zu erschweren, dass es für die Lehrer kaum noch zumutbar ist, Gebrauch davon zu machen? Ich halte diese Entmachtung unserer Pädagogen für falsch!

Wir brauchen einen festen und verbindlichen Kanon von Inhalten, die Hauptschüler, mittlere Schulabgänger oder Abiturienten auf jeden Fall sattelfest beherrschen müssen – natürlich auf jeweils unterschiedlichem Niveau. Dazu gehören auf jeden Fall die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen, Grundkenntnisse in Naturwissenschaften und Geschichte und nicht zuletzt auch ein Grundverständnis der ökonomischen Zusammenhänge.

Schule sollte auch soziale Kompetenzen vermitteln. In einigen Bereichen gelingt dies heute nicht einmal schlecht, etwa bei der Erziehung zu Selbstbewusstsein, Teamfähigkeit und selbständigem Arbeiten. Weniger erfolgreich sind unsere Schulen bei der Förderung von Kreativität und beim Vermitteln der sogenannten „ alten Tugenden“, also bei Fleiß, Leistungsbereitschaft, Höflichkeit. Vielleicht sollten wir uns alle hin und wieder auch selbst fragen, inwieweit wir diese vorleben und welches Beispiel wir unseren Jugendlichen geben.

'G 8' hat das Saarland bundesweit in die Schlagzeilen gebracht – und zwar ganz überwiegend positiv. Ich bin der festen Überzeugung, dass andere Bundesländer diesem Beispiel über kurz oder lang folgen werden.

Der Landesregierung möchte ich bescheinigen, dass sie mit ihrer „Qualitätsoffensive Bildung“ auf dem richtigen Weg ist. Sie hat gleich zu Beginn ein hohes Tempo vorgelegt, und sie setzt inzwischen vieles von dem um, was seit vielen Jahren auf der Wunschliste unserer IHK steht. Dazu gehören unter anderem:

  • die Wiedereinführung von Kopfnoten und die Information über Fehlzeiten,
  • die Wiedereinführung der Notenpflicht in der Grundschule ab Klasse 2,
  • zentrale Abschlussprüfungen für die mittlere Reife.
So richtig und wichtig diese Schritte sind: Sie werden nicht ausreichen, unsere Schulen so gut zu machen, wie sie sein könnten und müssten. Und sie werden nicht ausreichen, das Saarland im Wettbewerb der Bundesländer um das beste Schulsystem auf einen Spitzenplatz zu bringen.

Je länger ich mich mit dem Thema Schule befasse, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass wir einen Paradigmenwechsel brauchen. Die Richtung muss heißen: Mehr Eigenverantwortung und Gestaltungsspielraum für die Schulen, mehr Wettbewerb zwischen den Schulen.

Warum könnte es im Jahre 2010 nicht so aussehen:

  • Die Schulen haben die Freiheit, sich wie mittelständische Dienstleistungsunternehmen zu verhalten. Sie entscheiden eigenständig darüber, mit welchen Lehrern sie arbeiten wollen, wie sie die Tüchtigen und Fleißigen unter ihnen prämieren und die weniger Tüchtigen mit Sanktionen belegen. Sie entscheiden gemeinsam mit den Eltern, welche Sanktionsmöglichkeiten sie den Lehrern an die Hand geben, um Schüler zur Disziplin zu rufen. Sie entscheiden eigenständig, wie viel Geld sie für Gebäude, Einrichtungen, technische Hilfsmittel und Personal ausgeben. Und sie entscheiden, mit welchen pädagogischen Konzepten sie ihren Schülern Wissen und Können vermitteln wollen.
  • Die Finanzierung der Schulen erfolgt über Bildungsgutscheine, die die Eltern vom Staat erhalten. Die Eltern lösen diese bei der Schule ihrer Wahl ein. Die Schule erhält dafür vom Staat einen definierten Geldbetrag, der je nach Klassenstufe und Schulform unterschiedlich hoch ist. Konsequenz: Gute Schulen wachsen, weniger gute schrumpfen oder verschwinden vom Markt.
  • Für die Basisqualifikationen gibt es landesweit einheitliche Tests und Prüfungen zum Ende jedes Schuljahres. Das schafft Transparenz für Eltern, Schulen und den Staat. Die Festlegung der Leistungsstandards und deren Überprüfung obliegt dem zuständigen Ministerium. Dieses stützt sich in beträchtlichem Umfang auf den Rat von Experten und Praktikern.
Was könnten wir uns davon erwarten ?
  • Die Schulen bemühen sich stärker um Schüler und Eltern. Sie haben ein vitales Interesse daran, diese von ihrer Leistungsfähigkeit zu überzeugen und zu zufriedenen Kunden zu machen.
  • Es gibt einen lebhaften Wettbewerb um die besten pädagogischen Konzepte und die erfolgreichsten Schulprofile – schließlich engagieren sich die Eltern viel stärker als bisher an „ihrer“ Schule, an deren Profil und „Corporate Identity“ sie aktiv mitgewirkt haben.
  • Immer mehr Schulen gelingt es, Eltern und Unternehmen als Sponsoren zu gewinnen. Diese sind stolz darauf, eine Schule zu unterstützen und mitzugestalten, die zu den besten in Deutschland zählt. Den Unterschied zu früher sieht man bereits von weitem: an der Gestaltung der Schulgebäude und der Klassenräume – ein Umfeld, in dem es Freude macht zu lehren und zu lernen.
  • Die Schüler haben nicht nur mehr Freude am Lernen und am Lernerfolg – sie lassen sich auch von der Unternehmensphilosophie und dem Schwung in ihren Schulen anstecken. Der Anteil derjenigen, die als Berufsziel 'Unternehmer' angeben, hat sich in wenigen Jahren verdoppelt.
Warum gibt man den Schulen, die bereit sind, auf wichtigen Teilgebieten mehr Eigenverantwortung zu übernehmen, nicht die Möglichkeit dazu? Andere Länder – wie Niedersachsen oder Schleswig-Holstein – sind da schon weiter. Aber längst nicht so weit, dass wir sie nicht leicht überholen können.

Die reformfreudigen Länder werden sich im Standortwettbewerb Vorteile verschaffen.
Wenn unser Land Aufsteigerland werden will, muss es ganz vorne mit dabei sein!