Mehr Eigenverantwortung für die Schulen – mehr Wettbewerb zwischen den Schulen
Was wir schon vor PISA wussten – oder hätten wissen können
Von Dr. Richard Weber, Präsident IHK Saarland
Kolumne
01.02.2002
Bildung beginnt in der Familie ...
Die Situation in den Familien können wir nur selbst ändern. Auf die Kinder – so, wie sie heute sind – muss unser Bildungssystem eine Antwort finden. Das Lernen muss früher beginnen und besser organisiert werden. Unsere Schulen müssen nicht nur einen klaren Erziehungsauftrag bekommen – sondern auch die Mittel und den Freiraum dazu, ihn auszufüllen. Was ist zu tun?
Wir brauchten eine verpflichtende Vorschule ab dem fünften Lebensjahr, damit möglichst viele Kinder, wenn sie ein Jahr später eingeschult werden sollen, auch wirklich schulreif sind. Betreuung und Spielen reicht da nicht aus. Und mit den richtigen pädagogischen Konzepten muss es auch gelingen, dabei gleichermaßen die Schwächeren zu fördern, ohne die Leistungsstärkeren zu vernachlässigen.
Wir brauchen – auch und gerade im Saarland – ein größeres Angebot an Ganztagsschulen – Schulen wohlgemerkt, an denen auch am Nachmittag etwas gelernt wird. Da haben dann Förderangebote für lernschwächere Schüler ebenso ihren Platz wie weiterführende Kurse für besonders Begabte und Wissbegierige. Wer behauptet, dies sei in einem stufenweisen Ausbau nicht finanzierbar, muss im Kopf haben, dass ein solches Angebot unentgeltlich sein muss. Ich bin dagegen der Auffassung, dass die zusätzlichen Kosten dieser Ganztagsangebote – und nicht nur das Essen – über Elternbeiträge mitfinanziert werden können.
... sie darf sich nicht verzetteln ...
Wir brauchen einen festen und verbindlichen Kanon von Inhalten, die Hauptschüler, mittlere Schulabgänger und Abiturienten auf jeden Fall sattelfest beherrschen müssen – natürlich auf jeweils unterschiedlichem Niveau. Zu diesen „ Basisqualifikationen“ gehören auf jeden Fall die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen, Grundkenntnisse in Naturwissenschaften, Geschichte, mindestens eine Fremdsprache und, nicht zuletzt, auch ein Grundverständnis der ökonomischen Zusammenhänge.
Schule muss auch soziale Kompetenzen vermitteln; dies gelingt heute nur unzureichend. Der Erziehungsauftrag unserer Schulen muss daher auch sogenannte „Softskills“ wie Zielstrebigkeit, Fleiß, Pünktlichkeit, Genauigkeit, Leistungsbereitschaft und Höflichkeit umfassen.
Basisqualifikationen alleine machen noch keinen ganzen Menschen aus – selbst dann nicht, wenn sie mit einem Minimum an Sozialkompetenz gepaart sind. Zur Bildung gehören auch musische Fächer und vertiefte naturwissenschaftliche oder geschichtliche Kenntnisse. Aber Auswahl und Intensität dieser Angebote müssen und sollten wir nicht festlegen – es genügt, ausreichend Raum dafür vorzusehen und den Schulen die Auswahl zu überlassen.
... und sie muss besser organisiert werden
Diesen umfassenden Bildungs- und Erziehungsauftrag werden unsere Schulen nur wahrnehmen können, wenn sie auch die Freiräume dazu erhalten, ihn mit Leben zu füllen. Die grundsätzliche Richtung muss daher heißen: Mehr Eigenverantwortung und Gestaltungsspielraum für die Schulen, mehr Wettbewerb zwischen den Schulen. Schulen müssen eigenständig darüber entscheiden können, mit welchen Lehrern sie arbeiten wollen, wie sie die Tüchtigen und Fleißigen unter ihnen prämieren und die weniger Tüchtigen mit Sanktionen belegen. Sie müssen – gemeinsam mit den Eltern – darüber entscheiden können, welche Sanktionsmöglichkeiten sie ihren Lehrern an die Hand geben, um Schüler zur Disziplin zu rufen, wie viel Geld sie für Gebäude, Einrichtungen, technische Hilfsmittel und Personal ausgeben wollen und schließlich, mit welchen pädagogischen Konzepten sie ihren Schülern Wissen und Können vermitteln wollen. <p> Die Widerstände gegen diese „Entfesselung der Schulen“ sind gewiss nicht gering. Angefangen von der Angst einiger Ministerialbürokraten, Macht und Einfluss zu verlieren bis zur Trägheit mancher Lehrer (und vielleicht auch Schulleiter), die sich in der Abhängigkeit ganz gut eingerichtet haben. Aber ist es nicht viel spannender auch für sie, statt Einfluss auszuüben oder Sicherheit und Bequemlichkeit zu genießen, mehr Freiheit und Verantwortung zu bekommen für eine Aufgabe, deren Erfolg so maßgeblich unsere Zukunft bestimmt?