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Mehr Markt, mehr Arbeit

IHK-Hauptgeschäftsführer Volker Giersch plädiert für mehr
Markt am Arbeitsmarkt
Kommentar

01.04.2004

Man mag es drehen und wenden wie man will: Die Kosten der Arbeit entscheiden letztlich darüber, wie viel Arbeit sich in einer Volkswirtschaft rechnet. Sind die Arbeitskosten zu hoch, dann kommt es unweigerlich zu struktureller Arbeitslosigkeit. Und darunter leiden wir in Deutschland seit mehr als zwei Jahrzehnten in wachsendem Umfang. Bei Produktivität und Innovation sind wir zwar nach wie vor Spitze. Doch wir sind längst nicht mehr so viel besser wie die Arbeit hierzulande teuer ist. Die zwangsläufige Folge: Arbeitsplätze gehen verloren oder wandern ab.

Die Tarifpartner tun sich offensichtlich schwer, beschäftigungsfreundliche Abschlüsse zu vereinbaren. Vorstöße der Arbeitgeberverbände in diese Richtung sind, wie es scheint, nicht durchsetzbar – zumindest nicht ohne langwierige Arbeitskämpfe. Und diese lassen sich angesichts der immer engeren Verflechtung der Wirtschaft kaum noch erfolgreich bestreiten. Wenn strategisch wichtige Betriebe durch gezielte Streiks lahmgelegt werden, kommt die gesamte Wertschöpfungskette zum Stillstand. Der Schaden wird unermesslich. Mit anderen Worten: Die vielbeschworene „ Waffengleichheit“ zwischen den Tarifpartnern gibt es schon lange nicht mehr. Auf mehr Vernunft bei der Lohnfindung können wir unter diesen Bedingungen kaum hoffen.

Das wiegt schwer. Denn die Erfahrung lehrt, dass der Staat nicht reparieren kann, was überhöhte Tarifabschlüsse an Schaden anrichten. Schon gar nicht durch kleinere Korrekturen in der sozialen Sicherung, durch halbherzige Reformschritte bei den Steuern oder eine unausgegorene Innovationsoffensive. Selbst eine große Steuerreform à la Kirchhoff, der Übergang zu „ Gesundheitsprämien“ und die Konsolidierung der Rentenversicherung würden die Probleme nur lindern, nicht aber nachhaltig lösen. Das wären notwendige aber keine hinreichenden Schritte auf dem Weg zurück zur Vollbeschäftigung.

Erosion der industriellen Basis

Vom Ziel der Vollbeschäftigung entfernen wir uns indes immer weiter. Der Exodus an Arbeitsplätzen aus Deutschland hält unvermindert an. Betroffen sind längst nicht mehr allein die arbeitsintensiven Fertigungen. Hinzu kommen mit wachsendem Gewicht auch höherwertige Unternehmensbereiche bis hin zu Konstruktion und Entwicklung. Deutschland ist zwar wieder „ Exportweltmeister“. Aber in unseren Exporten steckt immer weniger deutsche Arbeit. Die gewerblich-industrielle Basis in unserem Land erodiert.

Diese Erosion können wir nur durch niedrigere Arbeitskosten stoppen. Dabei geht es nicht– wie häufig unterstellt wird – darum, die Löhne auf das Niveau Tschechiens oder gar Indiens abzusenken. Ausreichend wäre es bereits, bei den Stundenlöhnen 10 bis 15 Prozent gegenüber der ausländischen Konkurrenz wettzumachen. Der eleganteste Weg dorthin wäre eine Verlängerung der Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich: Die Arbeitnehmer hätten keine Lohneinbußen, die Unternehmen niedrigere Lohnstückkosten.

Über die gesetzlichen Lohnnebenkosten lässt sich das Problem nur zum Teil lösen. Viel wäre schon erreicht, wenn es gelänge, ihren Anteil an den Bruttolöhnen von derzeit über 40 auf 35 Prozent zu senken und ihn dort zu stabilisieren. Doch dazu sind in der Gesundheitspolitik und bei der Altersversorgung Reformen notwendig, die weit über die derzeitigen Konzepte hinausgehen.

Bündnisse für Arbeit durch Öffnungsklauseln

Was bleibt ist die Möglichkeit, den gesetzlichen Rahmen des Arbeitsmarktes zügig zu liberalisieren. Mit den „Hartz-Reformen“ und der „Agenda 2010“ sind erste Anfänge gemacht. Weitere Schritte müssen folgen. Hierzu haben die Unionsparteien vor kurzem Vorschläge unterbreitet. Erfolg verspräche insbesondere die gesetzliche Verankerung von Öffnungsklauseln, die beschäftigungsorientierte Abweichungen von den Tarifverträgen ermöglichen – und zwar auf Betriebsebene. Solche Abweichungen müssen immer dann zulässig sein, wenn Betriebsrat oder Belegschaft mit Zweidrittelmehrheit zustimmen. Das sog. Günstigkeitsprinzip ist entsprechend neu zu interpretieren. Dadurch würde die Kartellmacht der Gewerkschaften spürbar eingeschränkt.

In die richtige Richtung zielen auch die Vorschläge, die kostentreibenden Teile der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes wieder zurückzunehmen, bei Neueinstellungen eine Befristung bis zu vier Jahren zu ermöglichen, die Arbeitslosenversicherung auf ihre Kernaufgaben zu reduzieren, um dazu beizutragen, den Versicherungsbeitrag um 1,5 Prozentpunkte auf fünf Prozent senken zu können, Unternehmen die Möglichkeit einzuräumen, Langzeitarbeitslose im ersten Jahr ihrer Beschäftigung unter Tarif zu beschäftigen und den generellen Anspruch auf Teilzeitarbeit wieder einzuschränken.

Deregulierung schafft Arbeitsplätze

Der Gegenwind, den diese Programmpunkte entfacht haben, war heftig. Von einem Amoklauf war gar die Rede. Auf einen Nenner gebracht heißt die Kritik: Die Reformen beschneiden drastisch Arbeitnehmerrechte, ohne einen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz zu schaffen. Der Vorwurf ist falsch. Richtig ist, dass solche Reformen die direkten und indirekten Kosten der Beschäftigung mindern. Dadurch tragen sie nicht nur zur Sicherung bestehender, sondern auch zur Schaffung neuer Arbeitsplätze bei. Nur in einem Punkt geht die Kritik in die richtige Richtung: Die Reformen werden nicht ausreichen, bald wieder Vollbeschäftigung zu erreichen. Dazu bräuchten wir sehr viel tiefgreifendere Veränderungen. Veränderungen, die vor allem darauf zielen, aus unserem Arbeitsmarkt einen wirklichen Markt zu machen. Wie perfekt ein wirklicher Markt auch bei der Schaffung von Arbeitsplätzen funktionieren kann, zeigen zahlreiche Beispiele aus dem Ausland. Irland, Holland oder auch die USA belegen anschaulich, dass gerade für den Arbeitsmarkt die Formel gilt: Mehr Markt – mehr Arbeit.