Mehr Wachstum für Deutschland
Von Volker Giersch
Kommentar
01.08.2001
Kaum ein Experte hat den Konjunktureinbruch in der ersten Hälfte dieses Jahres richtig vorhergesehen. Im Gegenteil: Noch im Herbst vergangenen Jahres prognostizierten Wirtschaftsweise und Forschungsinstitute für 2001 fast unisono ein Wachstum von rund drei Prozent. Aber wir wissen ja: Prognosen sind schwierig - besonders wenn sie in die Zukunft reichen.
Wann und wie stark sich die Konjunktur weltweit erholen wird, ist aus heutiger Sicht kaum abschätzbar. Vieles spricht jedoch dafür, dass die Weltwirtschaft nicht in eine Rezession abgleiten, sondern spätestens nach dem Jahreswechsel wieder an Schwung gewinnen wird. Vor allem die USA haben die Grundlage für eine baldige Erholung geschaffen: Die amerikanische Geldpolitik steuert seit Jahresbeginn einen expansiven Kurs. Ein groß angelegtes Steuersenkungsprogramm dürfte schon bald den privaten Konsum stimulieren. Zudem ist der Ölpreis, dessen Anstieg für die Flaute mit verantwortlich war, inzwischen wieder deutlich gesunken. Die Börsen, die die künftige Entwicklung zumeist treffend antizipieren, kündigen bereits eine Stabilisierung der Konjunktur an.
Chronische Wachstumsschwäche ...
Die weltweite Konjunkturschwäche dürfte also schon bald überwunden sein. Die chronische Wachstumsschwäche in Deutschland indes nicht. Mit einem realen Wachstum von (nur) fünf Prozent seit Anfang 1998 hat sich unser Land am Ende der europäischen Wachstumsskala etabliert. In Ländern wie Spanien, Portugal, Niederlande, Finnland, Schweden und Norwegen fiel der Zuwachs mehr als doppelt so hoch aus. Auch unser Nachbar Frankreich legte mit einer Rate von neun Prozent vergleichsweise kräftig zu.
Die deutsche Wachstumsschwäche droht sich weiter zu verfestigen. Auch für das laufende Jahr wurden die Wachstumsprognosen für unser Land deutlich stärker zurückgenommen als für die übrigen EU-Länder.
Angesichts dieses Befundes brauchen wir hierzulande keinen kurzatmigen konjunkturpolitischen Aktionismus – insbesondere keine staatlichen Ausgabenprogramme. Gefragt ist vielmehr eine solide und beherzte Wachstumspolitik. Unser Land hat auf mittlere und lange Sicht ein Wachstumspotenzial von drei bis vier Prozent pro Jahr. Wenn wir die Weichen in der Wirtschafts-, Steuer- und Tarifpolitik richtig stellen, können wir dieses Potenzial relativ schnell erschließen.
Ein Einschwenken auf einen höheren Wachstumspfad wäre zugleich die beste Prophylaxe gegen konjunkturelle Schwäche. Je höher das Wachstum einer Volkswirtschaft ausfällt, so fand das Institut der Deutschen Wirtschaft kürzlich heraus, desto geringer ist ihre Anfälligkeit für konjunkturelle Rückschläge.
... durch Reformen und maßvolle Lohnpolitik überwinden
Kurzum: Wir brauchen in Deutschland endlich eine Politik für mehr Wachstum. Sie muss mindestens fünf Elemente umfassen:
- Erstens: eine wachstumsorientierte Steuerpolitik. Die bis 2005 beschlossenen Steuerentlastungen kommen zu spät. Sie sind auf 2002 vorzuziehen. Eine weitergehende Reform – etwa nach dem Modell Kirchhoff – muss folgen. Spätestens dann ist auch die Gewerbesteuer abzuschaffen.
- Zweitens: eine nachhaltige Deregulierung des Arbeitsmarktes. Die Regulierungsdichte, die nach den Reformen der Schröder-Regierung ein unerträglich hohes Niveau erreicht, erweist sich vielfach als Hemmschuh für die Einstellung zusätzlicher Mitarbeiter. Eine Kurskorrektur ist dringend geboten.
- Drittens: eine breit angelegte Qualitätsoffensive in der Bildung. Deutschland kann wirtschaftlich nur dann Spitze werden, wenn seine Schulen und Hochschulen wieder erstklassig sind. Zur Zeit sind sie das nicht. Mehr Eigenverantwortung und Wettbewerb in unserem Bildungssystem sind angesagt.
- Viertens: eine Absenkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten auf unter vierzig Prozent. Hier ist die Bundesregierung nach wie vor im Wort. Grundlegende Strukturreformen in den sozialen Sicherungssystemen – insbesondere in der Kranken- und Arbeitslosenversicherung – sind dazu unausweichlich.
- Fünftens: eine maßvolle Lohnpolitik. Die Zuwächse bei Löhnen und Gehältern müssen für mehrere Jahre hinter dem Produktivitätsfortschritt zurückbleiben. Hierzu sind längerfristige Tarifvereinbarungen wünschenswert. Sie würden den Unternehmen Planungssicherheit geben und Arbeitsplatz schaffende Investitionen kalkulierbarer machen. Leider weisen die aktuellen Äußerungen aus dem deutschen Gewerkschaftslager in eine andere Richtung.
Mit einer Politik der ruhigen Hand ist es also nicht getan. Wenn wir die Wachstumsschwäche in Deutschland überwinden wollen, brauchen wir vielmehr eine Politik, die zupackt. Sie muss die Weichen in Deutschland rasch und energisch auf Wachstumskurs stellen und die Gewerkschaften für eine Fortsetzung der beschäftigungsorientierten Lohnpolitik gewinnen.