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Neues wagen!

Ohne Mut, Neugier und Experimentierfreude wird Deutschland
weiter absteigen
IHK-Präsident Dr. Richard Weber zum Jahr der Innovation
Kolumne

01.05.2004

„Wie von Roboterhand gesteuert, verlässt das Wirtschaftswunderland die Spitzengruppe der Volkswirtschaften. Die Zahl der Arbeitsplätze schrumpft, der Wohlstand verflüchtigt sich. Das „Modell Deutschland“ hat aufgehört zu funktionieren“. Mit dieser nüchternen Diagnose begann kürzlich ein Spiegel-Artikel über die „Wohlstands-Illusion“ in Deutschland. Beleuchtet wird darin die fatale und fast selbstzerstörerische Neigung der Deutschen, einmal eingeschlagene Wege auch dann mit aller Konsequenz weiterzugehen, wenn sie sich längst als Irrwege erwiesen haben.

Beharrungsvermögen als Gesellschaftsprinzip? Wer die deutsche Sozial-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik in den letzten Jahrzehnte aufmerksam beobachtet hat, kann kaum zu einem anderen Schluss kommen. Dass wir in Deutschland zu viel in den Sozialkonsum stecken, ist schon schlimm genug. Noch schwerer wiegt, dass wir zu wenig für Zukunftsinvestitionen ausgeben – für Bildung, für Forschung und Wissenschaft, für Infrastruktur .... . Dass wir uns eine immense Bürokratie und Regulierungsdichte leisten. Dass Deutschland zu den fortschrittfeindlichsten Industrieländern gehört.

Wo bleiben die Investitionen in unsere Zukunft?

Die Folge: Bei internationalen Wissensvergleichen rangieren deutsche Schüler auf den hinteren Plätzen, insbesondere in Mathematik und Naturwissenschaften. Die Zahl der Absolventen von natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen ist in Deutschland, bezogen auf Zahl der Erwerbspersonen, nicht einmal halb so hoch wie in Frankreich, kaum halb so hoch wie in Großbritannien und fast ein Drittel niedriger als in den USA. Aus Deutschland wandert die Spitzentechnologie ab: Nach der Kernenergie und der Gentechnik zunehmend auch die Chemie und die pharmazeutische Industrie. Nicht weil die Unternehmen dies wollten, sondern, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Bei der Bereitstellung von Risikokapital rangieren wir im unteren Mittelfeld. Und in kaum einem anderen Industrieland ist das Geburtendefizit so hoch und geht die Überalterung der Gesellschaft so rasch vonstatten wie in der Bundesrepublik.

Innovation beginnt in den Köpfen

Gegen Vergreisung, Verdummung und drohenden technologischen Rückstand hilft nur eine radikale Umkehr, helfen nur neue Wege und Innovationen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Die IHK-Organisation hat deshalb das Jahr 2004 zum „Jahr der Innovation“ erklärt. Mit zahlreichen Veranstaltungen, konkreten Aktionen sollte die Akzeptanz neuer Technologien in der Breite gefördert, eine innovationsfreundlichere Umwelt geschaffen und die Unternehmen angeregt werden, ihre eigene Innovationsfähigkeit zu stärken. Denn selbst unseren Unternehmen scheint mittlerweile die Lust an (und das Geld zu) Innovationen abhanden gekommen zu sein: Die F+E-Ausgaben der deutschen Wirtschaft sind in den letzten drei Jahren immer weniger gestiegen – im laufenden Jahr werden sie bestenfalls stagnieren.

Fangen wir also bei uns selbst an! Ist unser Denken wirklich vorrangig auf neue Chancen, neue Ideen, neue Produkte und neue Märkte gerichtet? Oder denken wir zuerst ans Kostensparen, an die Risiken, an die übermächtige Konkurrenz? Lassen wir uns auch als Unternehmer anstecken von der Lähmung der Politik, entmutigen von der Bürokratie, der Steuer- und Abgabenlast, den Konjunkturprognosen? Oder sehen wir zuerst die Chancen, die Nischen, die der Wettbewerb noch frei lässt, den Silberstreif? Kennen Sie schon die Produkte und Dienstleistungen, von denen Ihr Unternehmen in den nächsten drei oder fünf Jahren leben wird?

Unternehmer sollten Beispiel geben

Meine Erfahrung ist: Wo die Grundrichtung stimmt, wo Unternehmer positiv und zukunftsgerichtet denken, bleibt der Erfolg nicht aus – auch in schwierigen Zeiten. Als IHK wollen wir deshalb Anregungen dazu bieten. Durch unsere Veranstaltungen. Durch die Vorstellung von „Best-Practices“-Beispielen und Erfahrungsberichten in unserer Zeitschrift. In den örtlichen Unternehmerforen im Rahmen von IHK Regional. In den Branchenforen, von denen wir allein in den letzten anderthalb Jahren fünf neue gegründet haben. All dies soll dazu beitragen, das Wissen in unseren Köpfen besser zu nutzen, Netzwerke zu bilden und Kooperationen zu erleichtern, Vertrauen zu schaffen und Mut zu machen. Kurz: ein innovationsfreundliches Klima zu schaffen. Übrigens: Wussten Sie, dass es rund 80 Prozent unserer heutigen IHK-Produkte vor fünf Jahren noch gar nicht gab?

Natürlich bleiben wir dabei, gegenüber Politik und Öffentlichkeit weiter für eine wirtschafts- und innovationsfreundliche Politik zu werben und notfalls auch zu streiten: Für die Abschaffung der Gewerbesteuer, für eine Entlastung der Unternehmen von den viel zu hohen Sozialkosten, für einen flexiblen Arbeitsmarkt, für eine bessere Ausbildung, für weniger Bürokratie und mehr Markt .... All dies würde nicht nur den Unternehmen nutzen, sondern auch den Arbeitnehmern und, vor allem, den Arbeitslosen. Als Unternehmer können wir darauf nicht warten, wir müssen vorangehen. Im Vertrauen auf die Worte Albert Schweitzers: „Das gute Beispiel ist nicht eine Möglichkeit, andere Menschen zu beeinflussen – es ist die einzige“ .