Qualitätsoffensive für unsere Berufsschulen
Von Volker Giersch
Kommentar
01.08.2002
Diese Spitzenstellung ist freilich nicht gottgegeben. Wir müssen sie Jahr für Jahr aufs Neue verteidigen. Dazu bedarf es erheblicher Anstrengungen auf allen Ebenen - bei der Entwicklung neuer und der Aktualisierung bestehender Berufsbilder, bei der Ausbildung in den Unternehmen und nicht zuletzt auch im Bereich der Berufsschulen. Spielräume für Verbesserungen gibt es genug. Wir müssen sie konsequent nutzen. Denn auch in der beruflichen Ausbildung gilt: Stillstand ist Rückschritt.
Die Wirtschaft hat ihre Anstrengungen seit Mitte der 90er Jahre erheblich verstärkt - auch und gerade im Saarland. Die Zahl der Ausbildungsplätze ist an der Saar im IHK-Bereich um rund 60 Prozent gestiegen. Gemessen an der Ausbildungsintensität (Ausbildungsplätze je 1.000 Einwohner) ist unser Land inzwischen bundesweit Spitze.
Der duale Partner berufsbildende Schulen ist da noch etwas im Hintertreffen - auch im Saarland. Unser Ehrgeiz sollte es sein, Verbesserungen schneller und beherzter zu erreichen als andere Länder. Starten wir also eine Qualitätsoffensive für unsere Berufsschulen. Das geht auch in Zeiten knapper Kassen. Geld spielt zwar auch hier eine Rolle, aber bei weitem nicht die entscheidende.
Lehrerlücke schließen
Was wir im Saarland zunächst brauchen, sind mehr Berufsschullehrer. Es kann und darf nicht sein, dass an unseren berufsbildenden Schulen rund zehn Prozent des Unterrichts ausfallen. Zu begrüßen ist deshalb, dass die Landesregierung bereits in den vergangenen zwei Jahren zusätzliche Lehrer eingestellt hat. Die Zahl der Fehlstunden hat sich dadurch allerdings kaum verringert, weil auch die Schülerzahl stark angestiegen ist - die 'Lehrerlücke' ist kaum kleiner geworden. Sie sollte jetzt schnellstmöglich geschlossen werden.
Dem steht derzeit vor allem entgegen, dass es für die Besetzung der zusätzlichen Stellen an Referendaren mangelt. Der wesentliche Grund hierfür: In den 90er Jahren hatte das Land die Studiengänge für das Lehramt an Berufsschulen abgeschafft. Seit Beginn dieses Jahrzehnts gibt es sie zwar wieder. Doch gehen mindestens noch drei Jahre ins Land, bis die Studienanfänger für den Schuldienst verfügbar sind. Deshalb plädiert unsere IHK dafür, verstärkt Praktiker aus den Betrieben im Unterricht einzusetzen. So könnte die Lücke rasch und kostengünstig geschlossen werden - und der Unterricht zugleich auch an Praxisbezug gewinnen.
Eine weitere Chance, die Lehrerlücke zu verkleinern, liegt darin, das Angebot an Vollzeitberufsschulen zu verringern und die frei werdenden Lehrer an den (Teilzeit-)Berufsschulen einzusetzen. Die Vollzeitangebote hatten in Zeiten der Lehrstellenknappheit zwar durchaus ihre Berechtigung. Heute, wo viele betriebliche Ausbildungsplätze nicht mehr besetzt werden können, sollte man diese Angebote wieder zurückfahren. In anderen Bundesländern werden solche Korrekturen bereits ins Auge gefasst. In Hamburg etwa schließt die Schulbehörde zum Sommer acht berufliche Vollzeitschulen mit einer Kapazität von insgesamt 1.000 Schülern. Die betroffenen Jugendlichen finden allesamt Ausbildungsplätze im dualen System. Dort werden sie auch besser auf ihr späteres Berufsleben vorbereitet. Warum gehen wir diesen probaten und zugleich haushaltsverträglichen Weg nicht auch im Saarland?
Mehr Kreativität und Eigeninitiative durch Autonomie und Wettbewerb
Was wir zudem brauchen sind Qualitätsfortschritte durch organisatorische Innovation. Im Klartext: Unsere Berufsschulen werden - wie die allgemeinbildenden Schulen auch - noch allzu sehr durch die Kultusbürokratie gesteuert. Schulträger sind zwar die Kreise. Doch entscheidet das Kultusministerium zentral, welche Schule in welchem Ausbildungsberuf schulen darf, wie viele und welche Lehrer wo unterrichten und wie die Schulbezirke zugeschnitten werden. Apropos Schulbezirke: Wir sollten sie einfach aufheben und nach dem Prinzip 'freie Schulwahl für mobile Berufsschüler' verfahren. Mehr Wettbewerb zwischen den Berufsschulen ist erwünscht. Und es gibt insbesondere im kaufmännischen Bereich dazu auch ein hinreichend breites Angebot.
Zugleich müssen wir die Berufsschulen 'entfesseln'. Wir sollten ihnen den Freiraum geben, sich in eigener Verantwortung zu leistungsfähigen und kundenorientierten Dienstleistungsunternehmen entwickeln zu können. Dazu gehört zunächst eine möglichst weitgehende Budgetautonomie, am besten in Form eines mehrjährigen Globalbudgets, das zur Finanzierung sowohl der Personalkosten als auch der Sachkosten dient. Zudem sollten die Berufsschulen eigenständig entscheiden können, welche Lehrkräfte sie fest einstellen und wie viel Praktiker sie auf Honorarbasis beschäftigen. Wünschenswert ist überdies ein größerer Spielraum für die Entwicklung eigenständiger pädagogischer und inhaltlicher Profile. All dies wird vor Ort in den Berufsschulen zusätzliche Kräfte freisetzen und Eigeninitiative und Kreativität fördern. Und es wird im Ergebnis helfen, Unternehmen als Sponsoren zu gewinnen. Nach einer gewissen Übergangszeit sollten schließlich auch private Träger die Möglichkeit erhalten, Berufsschulen zu gründen und zu betreiben. Auf Dauer sollten sie in einem fairen Leistungswettbewerb mit den staatlichen Berufsschulen konkurrieren können. Die besten Angebote würden sich auf dem Bildungsmarkt durchsetzen. Eine wichtige Voraussetzung hierfür, nämlich hohe Leistungstransparenz, gibt es dank der bundeseinheitlichen Zwischen- und Abschlussprüfungen ja heute bereits.
Anderswo zeichnet sich vereinzelt bereits ein Wandel hin zu neuen, flexibleren Strukturen ab. So hat der Hamburger Senat erst kürzlich beschlossen, die Berufsschulen der Hansestadt in Kooperation mit Handels- und Handwerkskammer in eine private Trägerschaft zu überführen. Von einer Stiftungslösung, die den Schulen mehr Autonomie und Eigenverantwortung bringen soll, ist die Rede.
Auch im Saarland sollten wir möglichst rasch mit einer kreativen Diskussion über Erfolg versprechende Lösungen beginnen. Ansonsten werden wir am Ende nicht zu jenen Bundesländern zählen, die in der berufliche Bildung die Nase vorn haben. Ein finanzschwaches Land, das nach Erfolg strebt, braucht gerade dort Reformkraft, wo Fortschritt vor allem durch intelligentere Organisation erreichbar ist. Im Berufsschulwesen ist das der Fall. Nutzen wir die Chance!