Reformoffensive statt Unternehmerschelte!
IHK-Hauptgeschäftsführer Volker Giersch zur aktuellen
Patriotismusdebatte
Kommentar
01.05.2004
Die verkürzte, sinnentstellende Wiedergabe der Aussage und die Reaktionen darauf sind zunächst ein trauriger Beleg für den fortschreitenden Verfall der Informations- und Diskussionskultur in Deutschland. Da bauen interessierte Kreise zunächst durch manipulierte Information einen Popanz auf, um ihn dann genuss- und lustvoll wieder abschießen zu können. Das mag zwar – wie im vorliegenden Fall – Schlagzeilen generieren und Emotionen schüren. Aber es schadet unserem Land. Denn es lenkt von den wahren Problemen und ihrer Lösung ab.
Engagement im Ausland sichert Arbeit im Inland
In der Sache kann man Präsident Braun nur voll und ganz zustimmen. Es ist für unsere Unternehmen geradezu eine Überlebensfrage, die Chancen auf ausländischen Märkten konsequent zu nutzen. Im Ergebnis ist es zugleich patriotisch: Denn Auslandsinvestitionen tragen in aller Regel dazu bei, die Existenz von Unternehmen zu festigen, Kapazitäten, die rentabel sind, besser auszulasten und Arbeit in Deutschland zu sichern. Unpatriotisch handeln letztlich Unternehmen, die ihre Chancen im Ausland ungenutzt verstreichen lassen. Denn sie nehmen unweigerlich in Kauf, dass sie ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit verspielen, Marktanteile verlieren, Arbeitsplätze abbauen müssen und über kurz oder lang aus dem Markt ausscheiden.
Unser Wohlstand gründet nicht auf Patriotismus ...
Die Verhaltensmaxime in einer Marktwirtschaft heißt deshalb aus gutem Grunde nicht: Wirtschafte so, dass es dem Gemeinwohl oder dem Vaterland nützt. Sondern: Sorge dafür, dass dein Unternehmen im Wettbewerb mit anderen möglichst erfolgreich abschneidet. Und diese Maxime entspricht exakt auch der Logik unserer Wirtschaftsordnung, wonach das egoistische Erfolgsstreben der Einzelnen über die „unsichtbare Hand des Marktes“ Wohlstand und Beschäftigung für alle bringt. Vorausgesetzt freilich, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen.
... sondern auf Wettbewerb und Erfolgsstreben
Analoges gilt für die Weltwirtschaft im Ganzen. Globalisierung ist letztlich nichts anderes als die Übertragung des Prinzips Marktwirtschaft auf immer mehr nationale Volkswirtschaften – verbunden mit einem weitgehend freien Waren- und Kapitalverkehr zwischen ihnen. In dieser Welt wetteifern die Unternehmen weltweit um die Gunst der Kunden. Der globale Konkurrenzdruck zwingt sie, nicht nur die Chancen der Produkt- und Verfahrensinnovation, sondern auch jene der Standortinnovation konsequent zu nutzen. Wer an Standorten verharrt, die unattraktiv geworden sind, gerät selbst rasch ins Hintertreffen. Wer an einen attraktiveren Standort wechselt, erschließt sich Vorteile.
Attraktive Standorte gibt es weltweit in großer Zahl. Sie alle werben um die Gunst der Investoren und um mobiles Kapital. Denn sie streben nach mehr Wohlstand. Die Weltwirtschaft im Ganzen profitiert von diesem Wettbewerb: Er fördert Wachstum und Innovation. Freilich gibt es Gewinner und Verlierer.
Fällt eine Volkswirtschaft bei Wachstum und Beschäftigung zurück, dann stets deshalb, weil sich Investitionen und Arbeitsplätze in anderen Ländern besser rechnen. Die weltweiten Investitionsströme zeigen das frühzeitig an. In Deutschland übrigens bereits seit zwei Jahrzehnten. Helfen kann dann nur eines: Eine mehr oder weniger radikale Fitness-Kur für den Standort.
Auf die Qualität der Politik kommt es an!
Kampagnen, die den Patriotismus der Unternehmen beschwören, sind dagegen völlig untauglich. Schlimmer noch: Sie sind kontraproduktiv. Denn sie lenken von den eigentlichen Problemen ab, schwächen die Akzeptanz für nötige Reformen und schaden überdies dem Image des Landes.
Im Ergebnis macht sich der Unternehmer, der weltweit investiert und operiert mehr um sein Vaterland verdient als der Politiker, dem Einsicht, Mut oder Kraft fehlen, die nötigen Reformen anzupacken und als der Gewerkschafter, der für überhöhte Tarifabschlüsse streitet und dadurch Arbeitsplätze gefährdet. Dort, wo die Wirtschaft besser läuft als hierzulande, sind – wie alle Erfahrung zeigt – nicht die Unternehmen patriotischer sondern die Politiker reformfreudiger und die Tarifabschlüsse beschäftigungsorientierter. Daran ändern auch Vorzeige-Patrioten wie der Trigema-Chef Wolfgang Grupp nichts.
Beenden wir deshalb endlich die unsinnige Patriotismusdebatte und wenden uns stattdessen wieder den dringend notwendigen Reformen zu. Nur so können wir die Auswanderung von Arbeitsplätzen stoppen und die Gunst der Investoren zurückgewinnen. Reformeifer ist gefragt, Unternehmerschelte schadet.