Risikokapital für den Mittelstand
Von Volker Giersch
Kommentar
01.03.2001
In einer Studie der Universität Hamburg heißt es etwa: „Gut ein Viertel aller norddeutschen mittelständischen Unternehmen klagt darüber, dass die Bereitschaft der Banken zur Kreditvergabe abnehme und die Kundenbetreuung schlechter werde. “Am geringsten sei die Bereitschaft, Kredite an Unternehmen mit ungünstiger Gewinnentwicklung, einem Jahresumsatz bis zu fünf Millionen DM und einem hohen Fremdkapitalanteil zu vergeben. Ferner ergab die Studie, dass sich Sparkassen kaum von Geschäftsbanken unterscheiden, was die Qualität der Kundenbetreuung und die Bereitschaft zur Kreditvergabe betrifft. Letzteres sieht die Sparkassen-Finanzgruppe freilich anders. In ganzseitigen Anzeigen verkündet sie: „Geschäftsbanken kehren dem Mittelstand den Rücken. Wir nicht.“
Kreditfinanzierung wird schwieriger
Wie auch immer. Kleine und mittlere Unternehmen werden sich wohl darauf einstellen müssen, dass es für sie zunehmend schwieriger wird, ihre Unternehmensentwicklung durch Kredite zu finanzieren. Das gilt vor allem dann, wenn der Rahmen der dinglichen Sicherheiten ausgeschöpft und die Bonität des Unternehmens nur schwer zu beurteilen ist. Beides ist gerade bei Dienstleistern und IT-Unternehmen oft der Fall. Vermögenswerte wie gute Ideen, Marktpotential, zukünftige Stellung im Wettbewerb, Know how und Humankapital sind nun mal keine beleihbaren Güter und damit wenig tauglich zur Absicherung eines Bankkredits.
Wenn die neuen Eigenkapitalrichtlinien für Banken (BASEL II) in Kraft treten, werden die Probleme gewiss nicht kleiner. In jedem Fall wird die Höhe der Zinssätze dann mehr denn je von der Bonität des Kunden abhängig sein; Anhaltspunkte zur Einstufung der Kreditnehmer liefern die sogenannten Ratings. Experten erwarten zudem, dass auch der durchschnittliche Zinssatz für KMU-Kredite deutlich steigen wird. Doch BASEL II ist nicht der Kern des Problems. Von weitaus größerem Einfluss ist, dass der Wettbewerbsdruck im Zuge der Globalisierung auch im Bankensektor deutlich zunimmt. Er zwingt die Banken, sich auf jene Geschäftsfelder zu konzentrieren, die die höchsten Erträge abwerfen. Dazu zählt insbesondere das Provisionsgeschäft, das seit geraumer Zeit weitaus profitabler ist als das Zinsgeschäft.
Banken, denen es nicht gelingt, ihren „Shareholder value“ zu mehren, werden auf den Kapitalmärkten rasch und hart abgestraft werden. Ihr Börsenkurs wird fallen. Sie werden zu Übernahmekandidaten und als eigenständige Unternehmen kaum überleben können. Appelle an die deutschen Banken, sich ihrer gesamtwirtschaftlichen Verantwortung zu stellen, gehen deshalb ins Leere. Die deutschen Banken werden das tun müssen, was ihre amerikanischen Konkurrenten längst tun: sich auf Kreditengagements konzentrieren, die sehr weitgehend abgesichert sind. Der klassische Bankkredit wird als Instrument der Mittelstandsfinanzierung also wohl weiter an Bedeutung verlieren. Was ist zu tun?
Privates Kapital mobilisieren
Die erste Konsequenz heißt: Wir müssen die Möglichkeiten für die Unternehmen verbessern, aus eigener Kraft und mit eigenem Kapital zu wachsen. Der probateste Weg hierzu wäre, den Steuertarif bei der Einkommensteuer schneller und rascher abzusenken als bislang geplant. Die zweite Konsequenz heißt: Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass privates Anlagekapital verstärkt in die mittelständische Wirtschaft fließt. In den USA ist es längst die Regel, dass Privatpersonen und institutionelle Anleger einen wesentlichen Teil ihres Kapitals – auch außerhalb der Aktienmärkte - in Unternehmen investieren. Dies geschieht entweder über die direkte Beteiligung an Unternehmen oder indirekt durch Kapitalanlage bei einer Unternehmensbeteiligungsgesellschaft.
Eine solche Risikokultur hat inzwischen auch in Europa Einzug gehalten: im Bereich der sogenannten new economy. Die Stichworte heißen: Business angels, Venture-Capital-Gesellschaften und Neuer Markt. Der weite Bereich der übrigen mittelständischen Wirtschaft spürt bisher noch wenig davon. Hier sind private Kapitalbeteiligungen noch eher die Ausnahme; Beteiligungsgesellschaften für die old economy gibt es bislang kaum. Den Privatanleger locken eher die vermeintlich spektakulären Gewinnaussichten der „high techs“. Zudem schrecken viele Mittelständler noch davor zurück, Außenstehende am Unternehmen zu beteiligen. Gleiches gilt für die Beteiligung der eigenen Mitarbeiter. Hier ist noch viel an Überzeugungsarbeit zu leisten.
Eine Schlüsselrolle fällt auch der Ausgestaltung unseres Steuersystems zu. Hier liegt noch manches im Argen. Viele Jahrzehnte lang hat unser Staat privates Anlagekapital massiv in volkswirtschaftlich zweifelhafte Abschreibungs- und Steuersparmodelle gelockt. Eingeschränkt ist dies auch heute noch der Fall. Das Geld fehlt bei der Finanzierung des Mittelstandes. Zugleich begünstigt das Steuersystem tendenziell die Anlage in Aktien. Ab 2002 sind Gewinne aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften hälftig zu versteuern, wenn die Beteiligung ein Prozent überschreitet. Bei kleinen Unternehmen ist dies schnell der Fall, bei Aktiengesellschaften praktisch nie – ein Nachteil für den Mittelstand.
Insgesamt bleibt viel zu tun, wenn wir eine neue Risikokultur zur Finanzierung der vielen kleinen und mittleren Unternehmen in Industrie, Handel und Dienstleistungssektor schaffen wollen. Eine solche Kultur brauchen wir aber dringend, damit der Mittelstand auch künftig Motor für Wachstum, Beschäftigung und Innovation bleiben kann. Unsere IHK wird sich in diesem Sinne engagieren. Sie wird Vorschläge unterbreiten und an Lösungen mitwirken.