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Schöne neue Welt?

Von Volker Giersch
Kommentar

01.06.2003

IHK-Hauptgeschäftsführer Volker Giersch über IHKs ohne gesetzliche Mitgliedschaft

„Kammern ohne Zwang!“ – mit dieser populistischen Formel fordern selbsternannte Sprecher des Mittelstandes seit Jahren eine grundlegende Reform der IHK-Welt. Im Kern wollen sie die Pflichtmitgliedschaft aufheben und die IHKs so zu reinen Dienstleistern machen, die sich über die Beiträge freiwilliger Mitglieder und den Verkauf von Dienstleistungen finanzieren.

Dieser Diskussion stellen wir uns gerne. Schließlich setzen wir uns selbst mit großem Nachdruck für Deregulierung und Liberalisierung an anderer Stelle ein. Da muss sich auch die eigene Organisation an diesem freiheitlichen Credo messen lassen. Fragen wir also: Wie sieht die andere, die vermeintlich freiheitlichere IHK-Welt aus?

Dienstleister am Markt...

In einer solchen Welt, die es in Ländern wie Großbritannien oder den USA bereits gibt, sind die IHKs darauf angewiesen, freiwillige Mitglieder zu werben und an sich zu binden. Sie bieten deshalb Leistungen an, die ihren Mitgliedern einen direkten Nutzen stiften. Dies vorwiegend auf den Gebieten Information, Beratung, Kontaktvermittlung und Qualifizierung. Es liegt in der Natur der Marktwirtschaft, dass sie mit diesem Angebot privaten Unternehmen oder freiberuflichen Beratern Konkurrenz machen.

So stark die IHKs als Dienstleister dastehen, so schwach sind sie in der politischen Interessenvertretung. Die Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse ist nur noch gering. Im Umweltrecht, im Steuerrecht, im Energierecht, in Fragen der Existenzgründungs- und Mittelstandsförderung aber auch im Baugenehmigungs- und Planungsrecht fehlen ihnen all jene Experten, die früher geschätzte Ratgeber von Ministerien, Behörden und Stadtverwaltungen waren. Die IHKs sind weder bereit noch in der Lage, sie zu finanzieren. Der Grund: Die Vertretung gesamtwirtschaftlicher Interessen ist keine marktfähige Dienstleistung. Niemand ist bereit, dafür zu zahlen. Denn jeder profitiert davon – ob er zahlt oder nicht.

... ohne wirtschaftspolitische Gestaltungskraft

Betroffen sind vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen. Ihre Interessen werden nur unzureichend vertreten. Spürbar wird dies am stärksten in der Politik der Länder und Kommunen. Hier gibt es praktisch keinen kompetenten Ansprechpartner aus der Wirtschaft mehr.

In der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Debatte haben die Arbeitnehmerorganisationen ein erdrückendes Übergewicht. Die IHK-Organisation findet in Berlin und Brüssel kaum noch Gehör. Der ehemals einflussreiche DIHK hat seine Schlagkraft weitgehend eingebüßt. Die Zahl der Mitarbeiter ist auf ein Viertel gesunken. Die Großunternehmen betreiben eine Fusion mit BDI und BDA. Im Ergebnis haben die IHKs ihre Rolle als Hüter der Marktwirtschaft und als mitgestaltende Kraft in der Gesellschaft weitgehend verloren. Soweit sie Position beziehen, achten sie tunlichst darauf, nicht gegen Partikularinteressen ihrer Mitglieder zu verstoßen – vor allem nicht gegen jene der Großen. Denn diese finanzieren den Großteil der IHK-Budgets und habe damit auch das Sagen.

Amtshilfe statt IHK-Service

Hoheitliche Aufgaben, die früher bei den IHKs lagen, werden jetzt vom Staat wahrgenommen. Es gibt Ämter für die berufliche Ausbildung, Sachverständigenämter, staatliche Kommissionen zur Ernennung von Finanz- und Handelsrichtern und staatliche Gutachterkommissionen für die Verkehrs- und Bauleitplanung.

In der Berufsbildung mehren sich die Klagen aus der Wirtschaft. Die Gebühren sind gestiegen, Qualität und Praxisorientierung gesunken. Die Wirtschaft wacht nicht mehr selbst über Effizienz und Wirtschaftsnähe. Zuständig sind jetzt die staatlichen „Ämter zur Überwachung betrieblicher Ausbildung und zur Prüfung der Auszubildenden“. Von den über 250.000 Personen, die früher ehrenamtlich in der beruflichen Ausbildung tätig waren, sind nur wenige geblieben. Die höheren Kosten werden auf die Betriebe überwälzt.

Mittelstandsförderung durch staatliche Ämter

Auch die Förderung der Außenwirtschaft liegt in staatlicher Hand. Das ehemals weltweite Netz der Auslandshandelskammern existiert nicht mehr. Die Unterstützung von Unternehmen, die in anderen Ländern Geschäftsbeziehungen aufbauen oder investieren wollen, erfolgt jetzt über die Wirtschaftsabteilungen der Botschaften.

Aus der Förderung von Existenzgründern haben sich die IHKs fast vollständig zurückgezogen. Sie bieten zwar Informations- und Beratungsleistungen für neue und junge Unternehmen an; dies jedoch nur gegen kostendeckende Bezahlung. In den IHK-Gremien dominiert die Auffassung: Unsere Mitglieder zahlen nicht dafür, dass wir zusätzliche Konkurrenz heranziehen. Staatliche Wirtschaftsförderungsagenturen sind an die Stelle der ehemals erfolgreichen IHK-Gründerzentren getreten. Auch hier also mehr staatliche Regie und weniger Eigenengagement der Wirtschaft.

Ist eine solche IHK-Welt erstrebenswert? All jene, die sie herbei sehnen, müssen keineswegs warten bis der Gesetzgeber aktiv wird. Sie können bei den nächsten Wahlen zur IHK-Vollversammlung für einen Sitz kandidieren und in den IHK-Gremien mit Gleichgesinnten dafür werben, die Beitragssätze und Gebühren kräftig zu senken. Schließlich hat es jede Vollversammlung selbst in der Hand, über Leistungsumfang und Beitragshöhe ihrer IHK zu entscheiden.

Bisher geschieht dies nicht, obwohl der Mittelstand in den IHK-Gremien längst die strategische Mehrheit hat. Von cirka 5.000 Vollversammlungsmitgliedern bei 82 IHKs gehören etwa zwei Drittel der mittelständischen Wirtschaft an. Fast ausnahmslos stimmen sie den IHK-Haushalten in ihrer jetzigen Höhe zu. Vielleicht liegt es ein wenig auch daran, dass sie die IHK-Welt in ihrer jetzigen Form kennen und schätzen gelernt haben und ihre Arbeit aktiv mitgestalten.