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Schicksalsgemeinschaft

Von Volker Giersch
Kommentar

01.10.2002

Kleine Unternehmen sind gut: Sie schaffen zusätzliche Arbeitsplätze und stellen das Gros der Ausbildungsplätze. Sie sind das Rückgrat unserer Volkswirtschaft. Großunternehmen sind dagegen schlecht: Sie bauen Arbeitsplätze ab, um ihre Aktienkurse nach oben zu treiben. Sie zahlen kaum noch Steuern – kurz: Sie entziehen sich ihrer gesamtwirtschaftlichen Verantwortung.

Diese klischeehafte Polarisierung gehört inzwischen zum Standard-Repertoire vieler Politiker – vornehmlich solcher aus dem linken Parteienspektrum. Sie ist nicht nur schief in der Sache, sondern zugleich auch gefährlich. Denn solche Polemik bestärkt die Großen nicht gerade, am Standort Deutschland weiter zu investieren. Und wenn uns die Großen den Rücken kehren, schadet das letztlich auch den Kleinen.

Innige Verflechtung

Fakt ist, dass unsere Wirtschaft heute inniger verflochten ist denn je. Sie bildet längst eine wirtschaftliche Schicksalsgemeinschaft. Niemals zuvor haben Großunternehmen so viele Aufträge an mittelständische Zulieferer und Dienstleister vergeben wie heute. Um globale Marktpräsenz zu erreichen, haben sie sich auf ihre Kernkompetenzen konzentriert und Anderes konsequent nach außen vergeben. Dass wir in den letzten Jahren auf dem Weg zur Dienstleistungsgesellschaft so weit vorangekommen sind, hängt ganz entscheidend mit dieser Tendenz zum Outsourcing zusammen. Dazu passt auch der Befund, dass innerhalb des Tertiärbereichs vor allem die unternehmensorientierten Dienstleister zugelegt haben. Im vergangenen Jahrzehnt entstanden dort immerhin 1,9 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze. Aufträge der Großen waren Nährboden für diese Entwicklung.

Auch innerhalb der Industrie sind groß, mittel und klein enger verflochten denn je. Die „supplier parcs“ von Ford in Saarlouis und von Smart in Lothringen machen dies anschaulich. In die Wertschöpfungsketten sind inzwischen auch zahlreiche mittlere und kleine Unternehmen eingebunden.

Faktisch leben klein, mittel und groß in einer Symbiose: Je stärker die Großen hierzulande präsent sind, desto mehr Aufträge vergeben sie an die kleinen und mittleren. Und: Je leistungsfähiger die kleinen und mittleren Unternehmen als Kooperationspartner, Zulieferer und Dienstleister sind, desto attraktiver ist der Standort Deutschland für die größeren.

Kleine und mittlere Unternehmen sind auch deshalb aus unserer Marktwirtschaft nicht wegzudenken. Sie sorgen für Wettbewerb und Innovationsdynamik. Sie sind flink, findig und flexibel. Und sie sind erfolgreich. Überall in der Welt gelingt es ihnen, sich beträchtliche Marktanteile zu sichern. Sie haben es deshalb nicht nötig, dass wir sie schön reden, indem wir die Großen schlecht reden.

Faire Rahmenbedingungen für alle!

Die Polarisierung lenkt auch leicht davon ab, was mittelständische Unternehmen wirklich brauchen: Einen Ordnungsrahmen, der faire und möglichst wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen für alle Unternehmensgrößen bietet. Am Ende wird dann der Markt entscheiden, in welchen Segmenten sich die kleinen und mittleren und in welchen sich eher die größeren Unternehmen durchsetzen. Eine gezielte interventionistische Politik zugunsten der Kleinen ist deshalb ebenso falsch wie eine solche zugunsten der Großen. Beides würde die Marktwirtschaft einen Teil ihrer Effizienz kosten.

Bleibt die Frage: Wie sehen die Rahmenbedingungen in Deutschland zurzeit aus? Sind sie fair? Leider nein! Es gibt eine Vielzahl von Gesetzen, Vorschriften und Verhaltensweisen, die den Mittelstand im Wettbewerb benachteiligen. Dazu gehören in erster Linie:

  • Hilfen des Staates, die schwächelnde Großunternehmen künstlich am Leben halten und den kleineren verwehrt bleiben (siehe Holzmann und MobilCom);
  • unser Steuersystem, das allein schon aufgrund seiner Komplexität mittelstandsfeindlich ist und kleineren Unternehmen überdies geringere Gestaltungsräume gibt als den größeren;
  • Frondienste für den Staat und bürokratische Hemmnisse, die den Mittelstand relativ stärker belasten als die Großen;
  • die Forschungsförderung des Bundes und der EU, die ganz überwiegend an Großunternehmen fließt
  • eine Tarifpolitik, die sich allzu sehr an den Möglichkeiten der Großen orientiert und nicht zuletzt
  • das eng gewobene Gespinst des staatlichen und tarifvertraglichen Regelwerks, das die Trümpfe des Mittelstandes – Beweglichkeit und Innovationsdynamik – sehr weitgehend neutralisiert.
Mehr Freiraum für den Mittelstand

Wohl verstandene Mittelstandspolitik muss im Kern bedeuten, all diese Nachteile konsequent abzubauen. Denn: Der Mittelstand braucht endlich wieder mehr Freiraum. Dafür setzen sich die IHKs ein. Populistische Mittelstandsrhetorik hilft nicht weiter. Was zählt, sind die Taten. Die bleiben aus. Der deutsche Gulliver hat es sich in seinen Fesseln bequem gemacht.

Die Quittung sehen wir seit Jahren: Deutschland ist längst vom Führerstand der Wachstumslokomotive ins Bremserhäuschen gewechselt. Die IHKs werden sich damit nicht abfinden. Wir werden weiter mit allem Nachdruck für ein wirtschaftsfreundlicheres Umfeld streiten: Für mehr Markt und weniger Staat. Für eine Sanierung von Sozialversicherung und Staatsfinanzen. Für flexiblere Arbeitsmärkte. Für eine Wirtschaftsordnung, in der alle eine faire Chance haben. <P> Die neue Bundesregierung hat die Chance zu einem Neuanfang. Wenn sie die notwendigen Reformen energisch angeht, winkt Erfolg. Wenn nicht, wird aus der „Schicksalsgemeinschaft Deutschland“ bald eine Gemeinschaft in Not.