Selbständigkeit: Alles nur zum Schein?
Von Paul H. Repplinger, Vizepräsident der IHK Saarland
Kolumne
01.01.2000
Scheinselbständigkeit: Rolle rückwärts
Zum 1. Januar 1999 trat ein Gesetz in Kraft, dessen Name – nomen est omen – schon die falsche Richtung angab, das 'Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte'. Geschaffen wurden hiermit zwei neue Rechtsfiguren: der 'Scheinselbständige' und der 'arbeitnehmerähnliche Selbständige'. Rein schematisch wurden viele bislang Selbständige per Gesetz zu Scheinselbständigen erklärt, darunter auch Eigentümer von Familienbetrieben. Die Folge: Viele Unternehmen suchten sich Auftragnehmer, die nicht in den Verdacht der Scheinselbständigkeit kommen konnten. Kleine Betriebe gerieten hierdurch in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die bis zur Existenzvernichtung reichten. Der dadurch entstandene volkswirtschaftliche Schaden wird sich wohl nie ermitteln lassen, da Vertragsauflösungen kaum zu erfassen sind.
Selbständigkeit: Rolle vorwärts
Nach massiver Kritik insbesondere seitens der IHK’n wurde das Gesetz nun korrigiert. Der neue Name 'Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit' ist in diesem Fall aber noch kein Programm, eher alter Wein in neuen Schläuchen. Das neue Gesetz repariert nur notdürftig die Schäden, die durch das alte Gesetz entstanden sind.
Der Gesetzesentwurf ist eine Antwort auf die Probleme und Fragestellungen, die das noch gültige Gesetz aufgeworfen hat. Anhand eines festgelegten Kriterienkataloges wurde der Selbständige bei Bejahung von mindestens zwei von vier Kriterien allen Zweigen der Sozialversicherung (Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung) unterworfen. Arbeitnehmerähnliche Selbständige wurden in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen. Es kam zu divergierenden Entscheidungen über die Frage, ob eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, zu unzumutbaren Beitragsnachforderungen, einem unzureichenden vorläufigen Rechtsschutz gegen Beitragsbescheide sowie zur Einbeziehung von Existenzgründern in den 'Schutz' der Rentenversicherung.
Die gesetzliche Neuregelung sieht an Stelle des mechanischen Abhakens von einzelnen Kriterien eine Gesamtbeurteilung vor, wie sie auch vor Erlaß des Korrekturgesetzes üblich war: Erkennbares unternehmerisches Handeln und die freie Entscheidung des Unternehmers stehen vor der Vermutung, scheinselbständig zu sein. Die Vermutung der Scheinselbständigkeit soll nur noch in den Fällen greifen, in denen der Betroffene Auskünfte verweigert und darüber hinaus drei von fünf Kriterien erfüllt sind.
Fragwürdige Abgrenzungen
Die einzelnen Abgrenzungskriterien sind zum Teil neu gefaßt und um ein weiteres Merkmal ergänzt worden. So wird jetzt dem Grundrechtsschutz der Familie Rechnung getragen. Galten bisher Familienangehörige nicht als Arbeitnehmer eines 'Scheinselbständigen', so reicht nun die Beschäftigung eines Familienangehörigen aus, wenn dieser sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. Dies ist zwar eine Verbesserung, dennoch bleibt unverständlich, warum die Nichtbeschäftigung eines Arbeitnehmers ein Kriterium für Scheinselbständigkeit sein soll.
Ebenso problematisch ist das neu eingeführte Abgrenzungskriterium. Scheinselbständigkeit wird danach vermutet, wenn die Tätigkeit der Person 'dem äußeren Erscheinungsbild nach der Tätigkeit entspricht, die sie für den selben Auftraggeber zuvor aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hatte'. Dieses Kriterium ignoriert den Strukturwandel der Wirtschaft. Unternehmen konzentrieren sich zunehmend auf ihre Kernaufgaben und stoßen dabei Randgeschäfte ab. Wach- und Sicherheitsdienste, Reinigungs- und Wartungsdienste geraten somit in den Ruch der Scheinselbständigkeit.
Einige Verbesserungen ...
Arbeitnehmerähnliche Selbständige sind trotz ihres Status als Selbständige seit Beginn dieses Jahres verpflichtet, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Das neue Gesetz gibt ihnen allerdings ein Wahlrecht. Neben Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung werden auch Lebensversicherungen, Immobilien- oder Wertpapierbesitz als gleichwertige Absicherung anerkannt. Positiv auch: Existenzgründer sind in den ersten drei Jahren ihrer Tätigkeit von der Pflichtversicherung ausgenommen.
... aber keine Quadratur des Kreises
So richtig es ist, daß der Gesetzgeber die schlimmsten Auswüchse des alten Gesetzes ausgemerzt hat, so wahr ist aber auch, daß mit dem neuen Gesetz die Verunsicherung der Betroffenen bleibt. Der Gesetzgeber jagt weiterhin der Chimäre der Scheinselbständigkeit hinterher. Zu viele bleiben im Netz der Vermutungskriterien gefangen, ohne daß sie dort reingehören.
Spaß an der Jagd können eigentlich nur die Sozialversicherungsträger haben, denen ein einmal zugewiesenes Betätigungsfeld nicht genommen wird. Nur: Wir alle müssen das bezahlen. Als ob die Abgaben- und Steuerlast in unserem Land nicht schon hoch genug wäre.
Konsequent im Sinne einer Förderung der Selbständigkeit wäre es gewesen, das Gesetz komplett zurückzuziehen. Zumindest aber hätte man nachvollziehbarere Kriterien aufstellen müssen, die den Betroffenen die Verunsicherung genommen hätten. Dies wäre aber vermutlich einer Quadratur des Kreises gleichgekommen.