Standortaufwertung statt Unternehmerschelte
Von Volker Giersch
Kommentar
01.06.2005
Dieses (Zerr-)Bild von Unternehmern und Managern zeichnet die Antikapitalismus-Debatte. An ihm ist fast alles schief, was schief sein kann. Richtig ist nur: Es mangelt in Deutschland an Investitionen. Ansonsten offenbart die Debatte vor allem eines: einen gravierenden Mangel an ökonomischer Bildung. Wie anders lässt es sich erklären, dass abstruse Diskussionen wie jene über Heuschrecken-Unternehmen, unpatriotische Manager oder die Konjunktur stimulierende (Kauf)Kraft des Lohnes gerade im Land von Ludwig Erhard einen solch fruchtbaren Nährboden finden.
Im Ausland lösen die deutschen Irrungen und Wirrungen Erstaunen, Verwunderung und nicht selten Befremden aus. Im Inland verunsichern sie die Investoren und fördern den Attentismus. Denn sie dämpfen die Hoffnung, dass die Politik die dringend nötigen Reformen zügig angeht. Umso wichtiger ist es, die Unternehmerschelte rasch zu beenden und uns stattdessen wieder den wahren Ursachen der deutschen Wachstumskrise zuzuwenden.
Zu viel Regulierung und Staatswirtschaft ...
Fakt ist zunächst, dass sich die Bedingungen für Investitionen in Deutschland bislang nicht entscheidend verbessert haben. Für die ersten Regierungsjahre von Rot-Grün trifft gar das Gegenteil zu: Die Wiederabsenkung des Schwellenwertes beim Kündigungsschutz und der neu eingeführte Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit haben den Arbeitsmarkt zusätzlich reguliert. Die Abschaffung des von der Kohl-Regierung eingeführten demografischen Faktors hat die nötige Rentenreform verzögert und die Lohnnebenkosten weiter steigen lassen. Die Novelle der Betriebsverfassung brachte für die Unternehmen zusätzliche Belastungen und Kosten mit sich. Am aktuellen Rand drohen jetzt die Ausdehnung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen und das Antidiskriminierungsgesetz den Arbeitsmarkt weiter zu zementieren.
Natürlich gab es auch die dreistufige Steuerreform mit einer deutlichen Absenkung der Steuersätze. Doch vergessen wir nicht: Im Bereich der Unternehmen wurde die Reform weitgehend durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen und durch die Einführung einer Mindestbesteuerung gegenfinanziert. Zudem haben andere Länder die Unternehmenssteuern kräftiger gesenkt. Folge ist, dass Deutschland bei der Besteuerung der Wirtschaft nach wie vor nicht konkurrenzfähig ist.
... zu wenig Marktwirtschaft
Wer vor diesem Hintergrund behauptet, die angebotsorientierte Politik sei in Deutschland gescheitert, muss unter Realitätsverlust leiden. Eine konsequent marktwirtschaftliche Politik hat es in unserem Land seit den Jahren des Wirtschaftswunders nicht mehr gegeben. Da sind uns andere Länder weit voraus. Und sie haben damit auch Erfolg. Insgesamt zeigt sich: Je höher der Grad an wirtschaftlicher Freiheit und je niedriger die Staatsquote desto höher die Dynamik der Wirtschaft.
Deutschland liegt in internationalen Rankings seit Jahren schon auf hinteren Rängen. Die Arbeitskosten, die Steuer- und Abgabenlast, der Staatsanteil und die Regulierungsdichte sind unangemessen hoch. Entsprechend mangelt es an Wachstumsdynamik. Nicht zu viel, sondern zu wenig Marktwirtschaft sind die Ursachen der deutschen Krankheit.
... zu niedrige Renditen
Dazu passt, dass die Unternehmen in Deutschland seit Jahren eher magere Gewinne erwirtschaften – die meisten jedenfalls. In der deutschen Industrie erreichte die Umsatzrendite im vergangenen Jahrfünft gerade einmal 2,7 Prozent. In Ländern wie Spanien, Italien, England, den USA oder auch Schweden bewegt sie sich in der Spanne zwischen 4,5 und 7 Prozent. Das wird allzu leicht übersehen, weil der Fokus einseitig auf den Gewinnzuwächsen der DAX-Unternehmen liegt. Aber selbst hier liegt die Eigenkapitalrendite zumeist noch deutlich unter dem Niveau der ausländischen Konkurrenz. Damit geht die Gefahr einher, dass solche Unternehmen über kurz oder lang von renditestarken ausländischen Unternehmen übernommen und von diesen auf Profit getrimmt werden. Wir sollten uns deshalb davor hüten, Unternehmen an den Pranger zu stellen, die international übliche Renditen erzielen wollen.
Unbefriedigend ist die Ertragslage aber vor allem in der mittelständischen Wirtschaft, insbesondere in jenen Branchen, die von der Binnennachfrage leben. Hier haben die Unternehmen seit längerer Zeit bereits mit stagnierenden Märkten und einem harten Verdrängungswettbewerb zu kämpfen. Viele Unternehmen sind ertragsschwach. Die Eigenkapitaldecke ist oftmals erschreckend dünn. Das ist auch einer der Hauptgründe dafür, dass wir bei den Insolvenzen weiter auf Rekordniveau liegen. Und vieles deutet darauf hin, dass die Insolvenzwelle in nächster Zeit nicht abebben wird.
Zugegeben: Wir sind nach wie vor Exportweltmeister. Und das ist zunächst ein Beleg dafür, dass deutsche Unternehmer und Manager den Vergleich mit ihren Kollegen im Ausland nicht zu scheuen brauchen. Was dennoch Sorge macht ist, dass in den deutschen Exporten immer weniger deutsche Arbeit steckt. Weil die Standortkosten hierzulande zu hoch sind, sehen sich viele Unternehmen gezwungen, Produktion ins Ausland zu verlagern oder eigene Fertigung durch den Import von Zulieferteilen zu ersetzen. Unsere Exportwirtschaft wandelt sich, so Ifo-Chef Werner Sinn, hin zu einer „Basar-Ökonomie“. Und dieser Wandel vollzieht sich alarmierend schnell, weitaus schneller jedenfalls als in den meisten anderen Ländern Europas. Monat für Monat gehen in Deutschland mehr als 7.000 Industriearbeitsplätze verloren. Tendenz eher steigend.
Mehr Mut zu Reformen!
Der einzig Erfolg versprechende Weg, diesen Trend zu stoppen, führt über eine nachhaltige Verbesserung der Standortbedingungen. Wir müssen dafür sorgen, dass sich Investitionen in unserem Land ähnlich gut rechnen wie an ausländischen Standorten. Nur dann werden in- und ausländische Unternehmen verstärkt hier investieren.
Das Gebot der Stunde muss deshalb heißen: Standortaufwertung statt Unternehmerschelte. Konkret gilt es, die Lohnnebenkosten nachhaltig zu senken, den Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten, einen funktionsfähigen Niedriglohnsektor zu schaffen und unser Steuersystem grundlegend zu reformieren. Spürbare Fortschritte bei Bürokratieabbau und Deregulierung müssen hinzukommen. Wer solche Reformen als Marktradikalismus verteufelt, ist ungeeignet, die Geschicke unseres Landes zu lenken. Bleibt zu hoffen, dass die Weichen nach der anstehenden Bundestagswahl rasch in Richtung Reformkurs gestellt werden.