Trügerischer Glanz
IHK-Hauptgeschäftsführer Volker Giersch über Deutschlands
Exporterfolge und Standortprobleme
Kommentar
01.03.2004
Diese Gefahr ist durchaus real. Denn die Schar der Reformgegner wächst ständig. Zu ihren Schlüsselargumenten zählt der Hinweis auf die eindrucksvollen Exporterfolge der deutschen Wirtschaft. Dass Deutschland im vergangenen Jahr erneut „ Exportweltmeister“ geworden sei, zeige, dass es um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und um die Qualität des Standorts Deutschland nicht schlecht bestellt sei. Doch der Glanz der Exportstatistik trügt. Der Exportweltmeister gilt nicht ohne Grund als der „kranke Mann Europas“. Drei Tatbestände belegen das:
Euro-Stärke bläht Exporte auf
Den Status „Exportweltmeister“ verdankt Deutschland zurzeit vor allem der Währungsentwicklung. Unsere Ausfuhren gehen in Folge der starken Euro-Aufwertung gegenüber dem Dollar mit einem entsprechend hohen Wert in die internationale Außenhandelsstatistik ein, die auf Dollarbasis geführt wird. Die Euro-Aufwertung bläht die deutschen Exportzahlen entsprechend auf. In Euro gerechnet sind die deutschen Exporte binnen Jahresfrist nur minimal gestiegen, um gerade einmal ein Prozent.
Weltmarktanteil sinkt
Gemessen am Weltmarktanteil ist Deutschland im Vergleich zu anderen wichtigen Exportnationen deutlich zurückgefallen. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ist der Anteil Deutschlands am Weltexport von 1991 bis 2002 um 1,6 Prozentpunkte auf 9,2 Prozent gefallen. Die USA konnten ihren Marktanteil dagegen in etwa halten.
Weniger deutsche Arbeit in Deutschlands Exporten
In den Produkten, die wir ins Ausland liefern, steckt immer weniger deutsche Arbeit. Wir exportieren zwar nach wie vor viele Autos und andere Investitionsgüter in alle Welt. Doch diese enthalten immer mehr Teile, Komponenten und Systeme, die anderswo – zumeist in Niedriglohnländern – hergestellt werden. Unsere Ausfuhren sichern insofern immer weniger Arbeitsplätze in Deutschland. Ein „deutscher“ Personenwagen etwa wird nur noch zu rund 35 Prozent in Deutschland produziert. Nach Berechnungen des IW liegt der Anteil ausländischer Zulieferungen in anderen Branchen teilweise noch weit höher. Nur so ist auch zu erklären, dass trotz der Exporterfolge in den vergangenen Jahren mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze in Niedriglohnländer verlagert wurden. Das hat die Deutsche Bundesbank kürzlich errechnet.
Auf den Punkt gebracht: Die deutsche Exportwirtschaft ist nur deshalb noch international wettbewerbsfähig, weil sie einen ständig wachsenden Teil der Wertschöpfung aus Niedriglohnländern bezieht. Und genau das müssen wir als Alarmsignal für die deutsche Standortpolitik begreifen. Wenn wir nicht massiv gegensteuern, wird sich der Exodus an Arbeitsplätzen ungebremst – eher noch beschleunigt – fortsetzen. Besonders alarmierend ist, dass es – anders als in den 90er Jahren – nicht mehr allein um lohnintensive Fertigungsbereiche geht. Zunehmend sollen auch Unternehmensteile wie Verwaltung, Entwicklung, Konstruktion und sogar der Unternehmenssitz auf den Prüfstand kommen.
Hauptgrund für die Arbeitsplatzverluste sind die zu hohen Arbeitskosten. In vielen Bereichen unserer Wirtschaft reicht der Vorsprung bei der Produktivität nicht aus, den Nachteil bei Löhnen und Lohnnebenkosten auszugleichen. Die Arbeit rechnet sich dann nicht mehr in Deutschland – trotz der Spitzenleistungen, die deutsche Unternehmen bei Qualität und Technologie nach wie vor erbringen.
Arbeitskosten müssen sinken
Künftig muss es deshalb vor allem darum gehen, die Arbeitskosten stabil zu halten – oder besser noch –zu senken. Die Wege dahin sind bekannt: Verlängerung der Wochenarbeitszeiten ohne Lohnausgleich, beschäftigungsorientierte Tarifabschlüsse, Senkung der Sozialversicherungsbeiträge und Abkopplung der Beitragslasten vom Arbeitslohn sowie auf Flexibilität gerichtete Reformen des Arbeitsrechts.
Nötig sind überdies eine einfachere und investitionsfördernde Unternehmensbesteuerung , kürzere Genehmigungsfristen, der Abbau von bürokratischen Lähmschichten und insbesondere auch eine Qualitätsoffensive bei Schul- und Hochschulausbildung.
Hohes Reformtempo nötig
Wenn die deutschen Exporte künftig wieder mehr Beschäftigung in Deutschland sichern sollen, brauchen wir rasche Fortschritte in all diesen Bereichen. Dabei gilt: Je höher das Reformtempo, desto besser. Senken wir es ab, wird Deutschland über kurz oder lang auch seine Stellung auf den Exportmärkten verlieren und wirtschaftlich ernsthaft ins Wanken geraten. Hüten wir uns also vor dem trügerischen Glanz der Exportstatistik. Der Reformmotor darf nicht ins Stottern geraten.