Positionen

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Verheißungsvoller Start

Standpunkt
von Volker Giersch

01.06.2012

Die große Koalition hat sich in den vergangenen Wochen harmonisch und reibungslos konstituiert. Damit hat unser Land jetzt wieder eine stabile Regierung, die die vor uns liegenden Herausforderungen offensiv und energisch angehen kann. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag verleiht die dazu nötige politische Kraft. Die Regierung wird diesen Rückhalt brauchen. Denn jetzt schon ist absehbar: Viele Reformen und Einsparungen werden sich nicht im Konsens, sondern nur im Konflikt mit starken Interessengruppen erreichen lassen.

In der Sache zeigen der Koalitionsvertrag und die Regierungserklärung der Ministerpräsidentin in die richtige Richtung. Sie schaffen ein solides Fundament für eine Politik, die auf die Sicherung der Eingeständigkeit zielt. Gut ist, dass die wichtigsten Handlungsfelder im Koalitionsvertrag klar umrissen sind: Zum einen will die Landesregierung die bereits im Oktober 2011 erstellte Strategie zur Sicherung eines ausreichenden Fachkräfteangebots zügig umsetzen; und zwar in einer gemeinsamen Kraftanstrengung mit den Wirtschafts- und Sozialpartnern.

Zum anderen will sie den Wirtschafts- und Lebensstandort Saarland trotz Schuldenbremse attraktiv und wettbewerbsfähig halten; dies unter anderem durch Standort prägende Zukunftsinvestitionen, durch eine auf Qualität gerichtete Bildungspolitik, durch eine stärker am saarländischen Bedarf orientierte Hochschulentwicklung und durch eine weiterhin offensiv ausgerichtete Wirtschaftsförderung. Zu begrüßen ist dabei die Zusage, dass Investitionen und Projekte, die für die Zukunft des Landes von besonderer Bedeutung sind, nicht an der Haushaltsnotlage scheitern werden.

Erfreulich ist zudem das eindeutige Bekenntnis zum Industrie- und Wirtschaftsstandort Saarland. Das Saarland soll Industrie- und Energieland bleiben. Das ist eine richtige und wichtige Wegweisung für die Hochschul- und Forschungspolitik, für die Energie- und Umweltpolitik, für die Wirtschaftsförderung, für die Verkehrspolitik und nicht zuletzt für die Bereitstellung und Erschließung von Industrieflächen.

Prioritäten setzen!

Im Bereich der Hochschulen sollen künftig klare Prioritäten gesetzt werden. Das ist auch dringend geboten. Denn die Zuweisungen des Landes werden bis Ende des Jahrzehnts real sinken. Einsparungen nach der Rasenmähermethode hätten da schnell ein Abdriften ins Mittelmaß zur Folge. Wer das vermeiden will, muss Prioritäten setzen – und Posteriotäten durchsetzen. „Insbesondere auch unter strukturpolitischen Gesichtspunkten“, heißt es deshalb im Vertrag, „muss entschieden werden, welche Angebote fortgeführt und weiterentwickelt und welche zur Disposition gestellt werden müssen.“ Dazu sollen die Angebote und ihre Chancen mit anerkanntem Sachverstand von außerhalb des Landes analysiert und bewertet werden. Am Ende soll dann ein langfristiger Entwicklungsplan für die Hochschulen stehen. Das ist gut. Denn nur so lässt sich für alle Beteiligten das nötige Maß an Transparenz und Planungssicherheit herstellen.

Für unsere Industrie kommt es – wie eine Analyse von IHK und ME Saar zeigt - insbesondere auf die weitere Entwicklung der Ingenieurwissenschaften an. Gut ist deshalb, dass die Landesregierung eine Stärkung dieses „strukturpolitisch so wichtigen Bereichs“ anstrebt. Dies nicht zuletzt auch durch eine bessere Verzahnung zwischen Saar-Uni und HTW – möglicherweise gar durch eine Zusammenführung der Angebote in einer hochschulübergreifenden gemeinsamen Struktur. Aus unserer Sicht kann das durchaus ein Erfolg versprechender Weg sein. Allerdings müssen auch in einer gemeinsamen Struktur die unterschiedlichen Ausbildungsprofile von Uni und HTW erhalten bleiben. Und auch die Forschung darf nicht leiden.

Saarland-Marketing starten

In die richtige Richtung zielt auch der angekündigte Ausbau der ZPT zu einem „Zentrum für Wirtschafts-, Innovations- und Standortförderung (ZeWIS)“. Dadurch sollen die Dienstleistungen für den Mittelstand und Initiativen zur Fachkräftesicherung künftig noch stärker gebündelt werden. Für die Unternehmen bringt das den Vorteil der kurzen Wege (viele Dienste aus einer Hand unter einem Dach). Für das Land ergeben sich Kostenvorteile, weil die Nutzung von Synergien eine hohe Effizienz verspricht. Und weil die IHK künftig verstärkt mit finanziert. ZeWIS soll – ebenso wie die ZPT bisher – eine gemeinsame Einrichtung von Landesregierung und Wirtschaftsorganisationen bleiben und zusätzliche Aufgaben wie Saarland-Marketing, Corporate Social Responsibility (CSR), Welcome-Center und eventuell auch die Umsetzung von Innovationsförderprogrammen übernehmen.

Gut ist, dass auf diesem Wege dann auch das von der Wirtschaft schon lange geforderte Saarland-Marketing gestartet werden soll. Unsere IHK hat bereits signalisiert, sich daran mit einem gewichtigen finanziellen Eigenbeitrag zu beteiligen. Denn ohne ein schlüssiges, auf nachhaltige Wirkung angelegtes Marketing kann es uns nicht gelingen, Zuwanderungsland zu werden. Und ohne die Zuwanderung von Fachkräften wird die Demografie über kurz oder lang zur Wachstumsbremse werden.

Weit weniger Freude bereitet die Lektüre der arbeitsmarktpolitischen Kapitel. Was unter den Stichworten „gute Arbeit“, Festlegung von Lohnuntergrenzen, Tariftreuereglung oder Bekämpfung des Missbrauchs im Bereich der Leiharbeit zu lesen ist, ist gewiss wenig geeignet, die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Saarland weiter zu verbessern. Doch man mag sich trösten: Was zu Leiharbeit und Lohnuntergrenzen geschrieben steht, fällt in die Kompetenz des Bundes. Und hier ist der Einfluss unseres Landes eng begrenzt.  Was auf Landesebene geplant ist (z. B. Aufnahme einer Lohnuntergrenze von 8,50 Euro in ein neues Vergabe- und Tariftreuegesetz, Ausschluss aus der Wirtschaftsförderung bei Überschreitung einer Leiharbeiterquote von 30 Prozent) wird dagegen wohl rasch umgesetzt werden, ist als Bürde aber verkraftbar.

Gestaltungsspielraum über Stellenabbau sichern!

Die größte Herausforderung, vor der die Landesregierung steht, liegt ohne Frage darin, den erforderlichen finanziellen Spielraum für die Zukunftsgestaltung zu schaffen. Dazu sind nach wie vor bestehende Ausgabenüberhänge (Ausgaben, die über dem Länderdurchschnitt liegen) zügig abzubauen und insbesondere auch Personalkosten im öffentlichen Dienst einzusparen. Denn sie bilden den mit Abstand größten Ausgabenblock im Landeshaushalt. Dass die Landesregierung mit dem Sparen bei den „Häuptlingen“ – Ministern und Staatssekretären – begonnen hat, ist das richtige Signal. Nur so wird der angepeilte Abbau von mindestens 2400 Stellen bis Ende des Jahrzehnts bei den „Indianern“ die nötige Akzeptanz finden.

Der Koalitionsvertrag sieht vor, künftig jede dritte Stelle, die altersbedingt frei wird, einzusparen. Das wird allerdings - selbst bei einer sehr günstigen Entwicklung des Steueraufkommens - kaum reichen. Ein Stellenabbau von zehn Prozent – um soviel geht es – ist überdies keine sehr ambitionierte Zielsetzung. Es ist nur wenig mehr als das Land im laufenden Jahrzehnt an Bevölkerung verliert – rund sieben Prozent. Und wir beginnen auf relativ hohem Niveau, nachdem die Zahl der Staatsdiener von 2007 bis 2010 relativ kräftig - um gut fünf Prozent – gestiegen ist. Im Klartext bedeutet das: Auch nach einem Stellenabbau von zehn Prozent hätte unser Land im Jahre 2020 noch einen höheren Personalbesatz (Stellen im öffentlichen Dienst je Einwohner) als13 Jahre zuvor. Schleswig-Holstein kommt bereits jetzt mit rund 17 Prozent weniger Landespersonal aus. Und auch dort sind weitere Einsparungen geplant. Gut ist deshalb, dass die Koalition bei ihrem Einsparziel „mindestens 2400 Stellen“ Spielraum nach oben lässt.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Einsparungen bei den Personalkosten sind kein Selbstzweck. Sie sind zwingend erforderlich, um einen ausreichenden Spielraum für die Zukunftsgestaltung zu gewinnen.

Aufbruchstimmung schaffen

Alles in allem enthält der Koalitionsvertrag viele wichtige Festlegungen. Was bislang noch fehlt, ist eine klar umrissene Zukunftsstrategie, die ganzheitlich angelegt ist und bis zum Ende des Jahrzehnts reicht. Hieran muss die Regierung in den nächsten Monaten mit Energie, Mut und Kreativität arbeiten. Am Ende muss ein Zukunftsbild Saarland 2020 stehen, das eine klare Orientierung gibt, das der Mär vom Kaputtsparen ein Ende setzt und hier im Land endlich wieder eine Aufbruchstimmung erzeugt.

Das ist wichtig. Denn nur mit vereinten Kräften kann es gelingen, die Eigenständigkeit zu sichern. Und das sollte unser Ziel bleiben. Denn die Eigenständigkeit bietet gewichtige Vorteile: Als eigenständiges Land können wir selbst entscheiden, wie wir uns im Wettbewerb der Regionen aussichtsreich positionieren. Wir haben bessere Chancen, saarländische Interessen in Berlin und Brüssel durchzusetzen. Wir bewahren uns den Vorteil der kurzen Wege. Und: Wir erhalten der Region eine Vielzahl von Arbeitsplätzen in Ministerien, Behörden und Institutionen wie dem Saarländischen Rundfunk.

Die bessere Option ist die Eigenständigkeit letztlich aber nur, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Erstens müssen wir die Chancen, die sie bietet, auch konsequent nutzen. Das heißt: Die Qualität der Politik muss stimmen. Deshalb müssen die Vereinbarungen der Koalitionspartner jetzt rasch in konkretes Handeln umgesetzt werden. Zweitens müssten Bund und Länder noch vor Ende des Jahrzehnts bereit sein, dem Land zusätzliche Solidarhilfe zu gewähren. Ansonsten werden uns die Altlasten – sprich die höheren Zins- und Versorgungsverpflichtungen – über kurz oder lang erdrücken. Ein um 12 bis 15 Prozent geringeres Budget – und das ergäbe sich angesichts der Altlasten – wäre jedenfalls kaum zu verkraften. Hier schließt sich der Kreis. Hilfe von außen werden wir nur dann erhalten, wenn wir zuvor alle Möglichkeiten der Selbsthilfe ausgeschöpft haben. Packen wir’s also an! Unsere IHK ist dabei. Gemäß unserem Motto „Gemeinsam die Zukunft gestalten“