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Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung

Berufsgenossenschaften für den Wettbewerb öffnen
Von Rolf Schneider, Vizepräsident IHK Saarland
Kolumne

01.12.2003

Während die ehemaligen Monopole in den Bereichen Post, Telekommunikation oder Energie gefallen sind und auch für die sozialen Sicherungssysteme überlegt wird, wie man über mehr Wettbewerb zu effizienteren und finanzierbaren Lösungen kommen kann, sind die Berufsgenossenschaften bisher von dieser Diskussion verschont geblieben. Das überrascht. Denn es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, die gesetzliche Unfallversicherung weiterhin als Staatsmonopol zu organisieren. Das mag bei ihrer Einführung 1884 im Zuge der Bismarckschen Sozialgesetzung noch anders gewesen sein. Heute jedenfalls besteht dazu kein Anlass mehr. Die Leistungen könnten genauso gut - und vor allem kostengünstiger - von privaten Versicherungsunternehmen im Wettbewerb erbracht werden. Grund genug also, die Berufsgenossenschaften endlich auf den Prüfstand zu stellen.

Hohe Verwaltungsausgaben

Derzeit sind in den 36 gewerblichen Berufsgenossenschaften, den 21 landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und den 54 Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand über 80 Prozent der Wohnbevölkerung versichert. Alle Berufgenossenschaften zusammen erzielten im letzten Jahr ein Beitragsaufkommen von knapp 11 Milliarden Euro. Entrichtet wurde es ausschließlich von den Arbeitgebern. Denn obwohl die Berufsgenossenschaften paritätisch von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern verwaltet werden, belasten die Versicherungsbeiträge einseitig die Unternehmen. Viele Arbeitnehmer wissen deshalb gar nicht, dass ihr Arbeitgeber für sie jedes Jahr rund 300 Euro an die gesetzliche Unfallversicherung zahlt. Immerhin so viel, wie sie selbst für ihr Auto an Kfz-Versicherung zahlen müssen.

Dafür erhalten die Arbeitnehmer ohne einen Cent dazuzubezahlen einen Rundum-Schutz, vor allem aber Unfall- und Berufsunfähigkeitsrenten sowie medizinische und berufliche Rehabilitationen. Über 70 Prozent aller Kosten – rund 7,5 Milliarden Euro - entfallen auf diese beiden Posten. Diese Ausgaben könnten deutlich geringer sein, wenn die Berufsgenossenschaften nicht nach dem sozialen Schutzprinzip, sondern streng nach versicherungsmathematischen Grundsätzen verfahren würden. Das müsste noch nicht mal zum Schaden der Arbeitnehmer sein. Denn nicht wenige Schadensfälle treten deshalb ein, weil die Geschädigten von der individuellen Haftung befreit und entsprechend sorglos sind.

Erschreckend hoch sind auch die Verwaltungsausgaben. Mit gut einer Milliarde Euro verschlingen sie rund 10 Prozent des Etats. Das ist nicht nur viel Geld für das “Innenleben” der Organisation, das ist auch deutlich mehr als bei anderen Versicherungen. In der gesetzlichen Krankenversicherung beträgt der Verwaltungsanteil fünf und in der privaten Krankenversicherung sogar nur gut drei Prozent der Kosten. Fehlender Wettbewerb und die Möglichkeit, steigende Kosten per Umlageverfahren auf viele Schultern verteilen zu können, sind die Hauptgründe für die immensen Verwaltungskosten. Hinzu kommt ein Hang zum Perfektionismus, der in seiner Detailliertheit seltsame Kapriolen schlägt und dabei nicht selten den gesunden Menschenverstand beleidigt. Verordnungsbeispiele wie “Zugluft ist zu vermeiden” oder “überhitzte Räume sind zu kühlen” lassen erahnen, welche Effizienzreserven bei den Berufgenossenschaften schlummern.

Ein permanenter Stein des Anstoßes sind auch die Kosten für die Wegeunfälle zwischen der Wohnung des Arbeitnehmers und seiner Arbeitsstätte. Ganz abgesehen davon, dass hier häufig Abgrenzungsprobleme auftauchen - was gehört zum Arbeitsweg und was nicht – ist nur schwer einzusehen, warum die Berufsgenossenschaften hierfür zuständig sein sollen. Der Einfluss der Unternehmen auf das Verkehrsverhalten ihrer Arbeitnehmer ist jedenfalls äußerst gering. Es würde sicher nicht die Grenze des Zumutbaren überschreiten, wenn die Arbeitnehmer für ihr Verhalten am Steuer auch die Verantwortung übernähmen.

Besonders ärgerlich aus Sicht der Unternehmen sind auch die Doppel- und Mehrfachkontrollen der Arbeitsschutzbestimmungen im Betrieb. Zurzeit werden die betrieblichen Gegebenheiten durch die Berufsgenossenschaften, die staatliche Gewerbeaufsicht und den TÜV unter die Lupe genommen. Auch hier ließe sich einiges vereinfachen und so Zeit und Geld sparen.

Mehr Effizienz durch Markt und Wettbewerb

Für die hohen Kosten und die zahlreichen Schwachstellen der gesetzlichen Unfallversicherung kann man den Berufsgenossenschaften noch nicht einmal einen Vorwurf machen. Sie verhalten sich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben durchaus rational. Eben so, wie man es von einem Monopolisten nicht anders erwarten kann. Gott sei Dank hat sich aber auch bei uns inzwischen die Erkenntnis herumgesprochen, dass die Ausschaltung von Konkurrenz regelmäßig zu Ineffizienzen, überhöhten Preisen und mangelnder Innovationsfähigkeit führt. Deshalb sollten wir – wie schon zuvor in anderen Bereichen – auch in der gesetzlichen Unfallversicherung einen Wechsel hin zu Markt und Wettbewerb vollziehen. Andere Länder haben damit inzwischen gute Erfahrungen gemacht. Das ist nicht weiter überraschend, denn es gibt weder politische noch ökonomische Gründe für die Beibehaltung des berufsgenossenschaftlichen Monopols.

Durch seine Abschaffung erhielten die Unternehmen die Wahl zwischen mehreren privaten Anbietern und den Berufsgenossenschaften. Diese könnten dann in einen fruchtbaren Leistungs- und Kostenwettbewerb treten. Die Öffnung der Märkte für Telekommunikation, Post und Strom hat gezeigt, welche Vorteile sich aus einer solchen wettbewerblichen Wende ergeben. Angesichts der viel zu hohen Lohnnebenkosten in Deutschland wäre es unverantwortlich, wenn wir diese nicht auch in der gesetzlichen Unfallversicherung nutzten.

Dass ein solcher Systemwechsel eine Reihe von Übergangsproblemen aufwirft, versteht sich von selbst. Vor allem für die eingegangenen Leistungszusagen wie Unfallrenten müsste eine Lösung gefunden werden. Doch diese Herausforderungen sollten uns nicht schrecken. Auf Dauer zahlen Freiheit und Wettbewerb sich immer aus.