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'Vorteile der Kleinheit nutzen'

06.06.1997

Eine umfassende Ausarbeitung zum Thema 'Länderneugliederung: großer Aufwand, geringe Effizienzgewinne', hat die Industrie- und Handelskammer des Saarlandes am 6. Juni 1997 der Presse vorgestellt. Hauptgeschäftsführer Dr. Hanspeter Georgi und Volker Giersch, stellv. Hauptgeschäftsführer der IHK Saarland erläuterten die nachfolgend wiedergegebenen Thesen zur Diskussion um eine Länderneugliederung.

Thesen zur Diskussion um eine Länderneugliederung
  

1. Kleine Bundesländer wie das Saarland haben ökonomisch gesehen durchaus eine Existenzberechtigung. Sie haben sie immer dann, wenn es ihnen gelingt, die Nachteile der Kleinheit durch die Vorteile der Kleinheit (Tugenden wie Innovationskraft und Flexibilität) mindestens auszugleichen.

2. Belege dafür, daß sich kleine Einheiten in der Praxis erfolgreich im Wettbewerb mit mittleren und größeren behaupten, gibt es auf vielen Ebenen.

(1) Auf der Ebene der Gliedstaaten sind die kleinen Bundesstaaten in den USA im Durchschnitt ähnlich leistungsfähig und erfolgreich wie die größeren. Sie bestehen im Wettbewerb der Bundesstaaten auch ohne horizontalen Finanzausgleich.

(2) Auf der kommunalen Ebene erweisen sich die kleineren Gemeinden als konkurrenzfähig im Wettbewerb mit den größeren Kommunen und Städten.

(3) Auf internationaler Ebene behaupten sich die kleineren Nationalstaaten erfolgreich im Wirtschafts- und Standortwettbewerb mit den großen. Ihre Staats- und Steuerquoten liegen trotz beträchtlicher economies of scale, die sich gerade auf der Ebene der Nationalstaaten begründen lassen, nicht über dem internationalen Durchschnitt.

(4) Im Bereich der Wirtschaft gelten die kleinen Unternehmen gar als Hoffnungsträger für Wachstum und Beschäftigung. Sie machen kleinheitsbedingte Nachteile dadurch wett, daß sie kleinheitsbedingte Vorteile wie Kundennähe, Innovationskraft und Flexibilität konsequent nutzen.

3. Daß sich die Kostennachteile der Kleinheit gering halten lassen, zeigt auch das Beispiel Saarland, wo der Personalbesatz im öffentlichen Dienst (Land und Kommunen) alles in allem unter dem Durchschnitt der übrigen Länder liegt. Dies trotz einer relativ hohen Stellenzahl im Bereich der politischen Führung (Staatskanzlei, Ministerien, Landtag).

Die gut 150 Mio. DM, die das Saarland im Rahmen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs für seine 'Mehrkosten der politischen Führung' erhält, sind ein großzügig bemessener Ausgleich für die Nachteile der Kleinheit. Immerhin reicht dieser Betrag aus, einen Großteil der Personalkosten von Ministerien und Staatskanzlei zu finanzieren.

4. Die Haushaltsprobleme des Saarlandes ergeben sich folglich nicht aus kleinheitsbedingten Mehraufwendungen für die Verwaltung. Sie sind vielmehr die Folge der wirtschaftsstrukturellen Probleme des Landes und der Art, wie sie bewältigt wurden und werden.

5. Bundesweit erhalten die kleinen Bundesländer insgesamt 1,5 Mrd. DM als Nachteilsausgleich für die Kleinheit. Gemessen am Gesamtvolumen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs (mehr als 40 Mrd. DM) ist dies eine relativ bescheidene Größenordnung. Sie kennzeichnet jenen Betrag, der sich nach der Logik des bundesstaatlichen Finanzausgleichs durch eine Länderneugliederung an administrativen Kosten einsparen läßt.

6. Die kleineren deutschen Bundesländer nutzen die Vorteile, die die Kleinheit bietet, bisher nur unzureichend. Sie müssen ihre Politik verstärkt an den Strategien ausrichten, die den Erfolg kleiner und mittlerer Unternehmen auf nationalen und internationalen Märkten bestimmen. Dazu zählt nicht zuletzt auch die Kooperation mit anderen Ländern und Nachbarregionen, die wesentlich dazu beitragen kann, Synergien zu nutzen und die Leistungsfähigkeit zu verbessern. Für das Saarland ergeben sich solche Möglichkeiten insbesondere im Rahmen einer länderübergreifenden Zusammenarbeit mit Rheinland-Pfalz und über eine vertiefte Kooperation in der Großregion Saar-Lor-Lux-Trier-Westpfalz.

7. Die Ausgleichsströme im Rahmen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs werden zum ganz überwiegenden Teil bestimmt durch Unterschiede in der Wirtschafts- und Steuerkraft.

Solange die Politik in Deutschland das verfassungsrechtliche Gebot, einheitliche Lebensbedingungen in Deutschland zu gewährleisten, ernst nimmt, sind Ausgleichsleistungen zwischen wirtschaftsstarken und wirtschaftsschwachen Regionen unverzichtbar.

8. Hinsichtlich der Ausgleichsleistungen hätte eine Länderneugliederung im wesentlichen eines zur Folge: Der Finanzausgleich zwischen den Ländern würde ersetzt durch Solidarhilfe innerhalb der dann größeren Länder. Die reicheren Regionen blieben de facto weiterhin in der 'Geberrolle', die ärmeren in der 'Nehmerrolle'.

9. Finanztransfers zwischen den Ländern würden nur dann entbehrlich, wenn es im Rahmen einer sehr weitreichenden Länderneugliederung gelänge, die neuen Länder so zuzuschneiden, daß sie in etwa die gleiche Wirtschafts- und Finanzkraft hätten. Eine solche Lösung hätte zwar viel Charme, weil sie den Weg frei machen würde für einen Wettbewerb der Länder um die besseren Politikkonzepte. Sie scheint aber angesichts der großräumigen Unterschiede in der Wirtschafts- und Steuerkraft nicht möglich.

10. Die weitere Eigenständigkeit des Saarlandes ist der Alternative 'Eingliederung in ein neues größeres Bundesland' dann und nur dann vorzuziehen,

  • wenn die Teilentschuldung des Landes so lange fortgeführt wird, bis das Saarland bei der Pro-Kopf-Verschuldung Anschluß an die übrigen Bundesländer gefunden hat,
  • wenn der bundesstaatliche Finanzausgleich in seinem jetzigen Ausmaß bestehen bleibt,
  • wenn der Bund die Eigenanstrengungen des Saarlandes durch eine angemessene Berücksichtigung des Landes in seinen raumwirksamen Bereichspolitiken unterstützt und last but not least
  • wenn die Qualität der Politik im Lande selbst stimmt.

Letzteres bedeutet, daß das Land seine Existenzberechtigung durch eine intelligente, zukunftsgerichtete Politik, die die Nachteile der Kleinheit gering hält und die Vorteile der Kleinheit konsequent nutzt, immer wieder aufs Neue bestätigen muß. Hier besteht noch beträchtlicher Handlungsbedarf (s. IHK-Szenario 2010). So z. B. erwarten die Unternehmen endlich bei den saarspezifischen Standortkosten wirtschaftsfreundliche Entscheidungen der Landesregierung