'Vorteile der Kleinheit nutzen'
06.06.1997
1. Kleine Bundesländer wie das Saarland haben
ökonomisch gesehen durchaus eine
Existenzberechtigung. Sie haben sie immer dann, wenn es
ihnen gelingt, die
Nachteile der Kleinheit durch die
Vorteile der Kleinheit (Tugenden wie Innovationskraft und
Flexibilität) mindestens auszugleichen.
2. Belege dafür, daß sich kleine Einheiten in der Praxis
erfolgreich im Wettbewerb mit mittleren und größeren behaupten,
gibt es auf vielen Ebenen.
(1) Auf der Ebene der Gliedstaaten sind die kleinen
Bundesstaaten in den USA im Durchschnitt ähnlich leistungsfähig
und erfolgreich wie die größeren. Sie bestehen im Wettbewerb der
Bundesstaaten auch ohne horizontalen Finanzausgleich.
(2) Auf der kommunalen Ebene erweisen sich die kleineren
Gemeinden als konkurrenzfähig im Wettbewerb mit den größeren
Kommunen und Städten.
(3) Auf internationaler Ebene behaupten sich die kleineren
Nationalstaaten erfolgreich im Wirtschafts- und
Standortwettbewerb mit den großen. Ihre Staats- und Steuerquoten
liegen trotz beträchtlicher economies of scale, die sich gerade
auf der Ebene der Nationalstaaten begründen lassen, nicht über
dem internationalen Durchschnitt.
(4) Im Bereich der Wirtschaft gelten die kleinen Unternehmen
gar als Hoffnungsträger für Wachstum und Beschäftigung. Sie
machen kleinheitsbedingte Nachteile dadurch wett, daß sie
kleinheitsbedingte Vorteile wie Kundennähe, Innovationskraft und
Flexibilität konsequent nutzen.
3. Daß sich die Kostennachteile der Kleinheit gering halten lassen, zeigt auch das Beispiel Saarland, wo der Personalbesatz im öffentlichen Dienst (Land und Kommunen) alles in allem unter dem Durchschnitt der übrigen Länder liegt. Dies trotz einer relativ hohen Stellenzahl im Bereich der politischen Führung (Staatskanzlei, Ministerien, Landtag).
Die gut 150 Mio. DM, die das Saarland im Rahmen des
bundesstaatlichen Finanzausgleichs für seine 'Mehrkosten der
politischen Führung' erhält, sind ein großzügig bemessener
Ausgleich für die Nachteile der Kleinheit. Immerhin reicht dieser
Betrag aus, einen Großteil der Personalkosten von Ministerien und
Staatskanzlei zu finanzieren.
4. Die Haushaltsprobleme des Saarlandes ergeben sich folglich
nicht aus kleinheitsbedingten Mehraufwendungen für die
Verwaltung. Sie sind vielmehr die Folge der
wirtschaftsstrukturellen Probleme des Landes und der Art, wie sie
bewältigt wurden und werden.
5. Bundesweit erhalten die kleinen Bundesländer insgesamt 1,5
Mrd. DM als Nachteilsausgleich für die Kleinheit. Gemessen am
Gesamtvolumen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs (mehr als 40
Mrd. DM) ist dies eine relativ bescheidene Größenordnung. Sie
kennzeichnet jenen Betrag, der sich nach der Logik des
bundesstaatlichen Finanzausgleichs durch eine Länderneugliederung
an administrativen Kosten einsparen läßt.
6. Die kleineren deutschen Bundesländer nutzen die Vorteile,
die die Kleinheit bietet, bisher nur unzureichend. Sie müssen
ihre Politik verstärkt an den Strategien ausrichten, die den
Erfolg kleiner und mittlerer Unternehmen auf nationalen und
internationalen Märkten bestimmen. Dazu zählt nicht zuletzt auch
die Kooperation mit anderen Ländern und Nachbarregionen, die
wesentlich dazu beitragen kann, Synergien zu nutzen und die
Leistungsfähigkeit zu verbessern. Für das Saarland ergeben sich
solche Möglichkeiten insbesondere im Rahmen einer
länderübergreifenden Zusammenarbeit mit Rheinland-Pfalz und über
eine vertiefte Kooperation in der Großregion
Saar-Lor-Lux-Trier-Westpfalz.
7. Die Ausgleichsströme im Rahmen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs werden zum ganz überwiegenden Teil bestimmt durch Unterschiede in der Wirtschafts- und Steuerkraft.
Solange die Politik in Deutschland das verfassungsrechtliche
Gebot, einheitliche Lebensbedingungen in Deutschland zu
gewährleisten, ernst nimmt, sind Ausgleichsleistungen zwischen
wirtschaftsstarken und wirtschaftsschwachen Regionen
unverzichtbar.
8. Hinsichtlich der Ausgleichsleistungen hätte eine
Länderneugliederung im wesentlichen eines zur Folge: Der
Finanzausgleich
zwischen den Ländern würde ersetzt durch Solidarhilfe
innerhalb der dann größeren Länder. Die reicheren Regionen
blieben de facto weiterhin in der 'Geberrolle', die ärmeren in
der 'Nehmerrolle'.
9. Finanztransfers zwischen den Ländern würden nur dann
entbehrlich, wenn es im Rahmen einer sehr weitreichenden
Länderneugliederung gelänge, die neuen Länder so zuzuschneiden,
daß sie in etwa die gleiche Wirtschafts- und Finanzkraft hätten.
Eine solche Lösung hätte zwar viel Charme, weil sie den Weg frei
machen würde für einen Wettbewerb der Länder um die besseren
Politikkonzepte. Sie scheint aber angesichts der großräumigen
Unterschiede in der Wirtschafts- und Steuerkraft nicht möglich.
10. Die weitere Eigenständigkeit des Saarlandes ist der
Alternative 'Eingliederung in ein neues größeres Bundesland' dann
und nur dann vorzuziehen,
- wenn die Teilentschuldung des Landes so lange fortgeführt wird, bis das Saarland bei der Pro-Kopf-Verschuldung Anschluß an die übrigen Bundesländer gefunden hat,
- wenn der bundesstaatliche Finanzausgleich in seinem jetzigen Ausmaß bestehen bleibt,
- wenn der Bund die Eigenanstrengungen des Saarlandes durch eine angemessene Berücksichtigung des Landes in seinen raumwirksamen Bereichspolitiken unterstützt und last but not least
- wenn die Qualität der Politik im Lande selbst stimmt.
Letzteres bedeutet, daß das Land seine Existenzberechtigung durch eine intelligente, zukunftsgerichtete Politik, die die Nachteile der Kleinheit gering hält und die Vorteile der Kleinheit konsequent nutzt, immer wieder aufs Neue bestätigen muß. Hier besteht noch beträchtlicher Handlungsbedarf (s. IHK-Szenario 2010). So z. B. erwarten die Unternehmen endlich bei den saarspezifischen Standortkosten wirtschaftsfreundliche Entscheidungen der Landesregierung