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Wachsende Schwierigkeiten bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen

Qualifikation der Schulabgänger gesunken

12.06.2001

Immer mehr Lehrstellen können nicht besetzt werden, weil keine geeigneten Bewerber zur Verfügung stehen. Bei jedem fünften Unternehmen blieben im Jahr 2000 aus diesem Grund Ausbildungsstellen offen; rund acht Prozent aller im IHK-Bereich angebotenen Ausbildungsplätze blieben so unbesetzt. Viele Indizien deuten darauf hin, dass diese Quote im laufenden Jahr weiter ansteigen wird, wahrscheinlich auf einen zweistelligen Wert. Eine wachsende Zahl von Unternehmen klagt in diesem Zusammenhang darüber, dass die Qualifikation der Schulabgänger in den letzten Jahren gesunken ist. Defizite sehen die Betriebe vor allem im Bereich der traditionellen Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen, aber auch im Bereich des Wirtschaftswissens. Gegenläufig zur Zahl der Bewerber entwickelt sich die Ausbildungsbereitschaft der Saarwirtschaft. Sie steigt weiter an. Dies ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage der IHK Saarland, die am Dienstag von IHK-Vizepräsident Rolf Schneider und Hauptgeschäftsführer Volker Giersch der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. An der Studie beteiligten sich insgesamt 878 Ausbildungsbetriebe aus Industrie, Handel und Dienstleistungen, die zusammen über die Hälfte aller Ausbildungsplätze im IHK-Bereich stellen.

Ausbildungsbereitschaft ungebrochen

„Die Ausbildungsbereitschaft der saarländischen Wirtschaft ist ungebrochen“, so Rolf Schneider, „27 Prozent der Unternehmen wollen mehr Auszubildende einstellen als im letzten Jahr. Damit kündigt sich für das Saarland erneut eine relativ günstige Entwicklung an. Denn bundesweit wollen nur 18 Prozent der Ausbildungsbetriebe mehr ausbilden als im Vorjahr.“ Der Anteil der Unternehmen, die weniger Lehrstellen anbieten wollten, liege mit rund 10 Prozent an der Saar und im Bund etwa gleichauf.

Aufgrund dieser Entwicklungen hat sich die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt im Saarland nachhaltig gedreht: „Es sind nicht mehr die Jungendlichen, die verzweifelt nach einem Ausbildungsplatz suchen. Es sind vielmehr die Unternehmen, die ihre Lehrstellen nicht besetzen können. Der Mangel an geeigneten Bewerbern wird mehr und mehr zum Engpassfaktor auf dem Ausbildungsmarkt“, sagte Schneider. Dies bestätigten auch die Zahlen des Landesarbeitsamtes. Sie wiesen aus, dass die Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze die der gemeldeten Bewerber derzeit um 1 400 übersteige.

Neben Defiziten in den traditionellen Kulturtechniken gibt es bei vielen Jugendlichen auch Mängel im Bereich der sozialen Kompetenzen. Aus der Sicht der Ausbildungsbetriebe sind insbesondere die Leistungsbereitschaft und die Fähigkeit, eigenständig zu arbeiten, vielfach nicht ausreichend ausgeprägt. Eher positiv bewerten die Unternehmen dagegen die Kompetenzen der Jugendlichen in puncto Teamfähigkeit und Konfliktfähigkeit sowie deren Bereitschaft, Neues zu lernen.

„Die Qualifikationsdefizite der Schulabgänger“, so Volker Giersch, „wiegen umso schwerer, als die Anforderungen, die eine erfolgreiche Ausbildung im dualen System stellt, in vielen Berufen eher gestiegen sind. Dies gilt vor allem für die neuen Berufsbilder im Bereich der Informationstechnologie und der Medien.“ Auch bei vielen klassischen Berufen habe sich das Anforderungsniveau im Zuge der Neuordnung der Berufsbilder erhöht. Und an Bank- und Versicherungskaufleute etwa seien schon immer sehr hohe Anforderungen gestellt worden.

Realschüler am meisten gefragt

Am meisten gefragt sind in der ausbildenden Wirtschaft Bewerber mit mittleren Bildungsabschluss; gut die Hälfte der Unternehmen würden ihnen zuerst einen Ausbildungsplatz anbieten. Es folgen Abiturienten (36 Prozent) und Jugendliche mit Hauptschulabschluss (14 Prozent). Allerdings sind die Vorlieben von Branche zu Branche unterschiedlich. Anders als in Industrie und Handel gibt es im Dienstleistungsbereich eine deutliche Präferenz für Abiturienten. Der Grund: In diesem Wirtschaftsbereich gibt es relativ viele Ausbildungsberufe, die hohe theoretische Anforderungen an die Auszubildenden stellen. Am Bau und in der Gastronomie haben dagegen auch Hauptschüler gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz.

Insgesamt betonen die Unternehmen daher, dass es primär auf Qualifikation, Motivation und Sozialverhalten der Schulabgänger ankommt und erst nachrangig auf die Schulform.

Die Studie mache deutlich, so die IHK, dass die Schule künftig (noch) besser auf den Einstieg in die Berufsausbildung vorbereiten muss. Dazu seien viele Schritte notwendig – von der jetzt gestarteten Qualitätsoffensive bis zur Erweiterung der Gestaltungsspielräume der einzelnen Schulen.

Qualifikationsoffensive verstärken

Die Qualitätsoffensive der saarländischen Landesregierung stellt aus der Sicht der IHK einen wichtigen ersten Schritt für eine Neuorientierung der Bildungspolitik dar. Sie will den Leistungsgedanken an den Schulen wieder stärker verankern und die Leistungsbereitschaft der Schüler erhöhen. Die IHK Saarland begrüßt die bereits eingeleiteten Maßnahmen: von der Einführung zentraler landesweiter Abschlussprüfungen für die mittlere Reife und den Hauptschulabschluss, der Wiedereinführung von Kopfnoten bis hin zur Notengebung ab der zweiten Grundschulklasse.

„Diese Schritte“, so Schneider, „sind aus unserer Sicht zwar notwendig, aber keineswegs hinreichend. Weitere Schritte müssen folgen.“ Wichtig sei insbesondere:

  • dass die Kernfächer Mathematik und Deutsch künftig einen höheren Stellenwert in den Lehrplänen erhalten und inhaltlich mehr Wert gelegt wird auf das sichere Beherrschen der traditionellen Kulturtechniken;
  • dass die Vermittlung von Wirtschaftswissen in allen Schulformen verstärkt wird; dafür sind ausreichend qualifizierte Lehrer auszubilden.
  • dass die allgemeinbildenden Schulen neben fachlichen Kenntnissen künftig zugleich mehr soziale Kompetenzen (Selbstdisziplin und Eigenmotivation, Fähigkeit zum selbständigen Wissenserwerb, eigenständiges Erarbeiten von Problemlösungen) und neue Kulturtechniken (effizienter Umgang mit neuen Medien, Präsentationstechnik) vermitteln; dazu bedarf es auch des Einsatzes entsprechender pädagogischer Unterrichtsformen. Hierfür sind die notwendigen personellen, sachlichen und räumlichen Voraussetzungen zu schaffen.
  • dass insbesondere die Hauptschüler besser als bisher auf ihren Einstieg in eine berufliche Ausbildung vorbereitet werden. Insgesamt wäre es wünschenswert, wenn an allen Schulen mehr Informationen über die künftige Arbeitswelt und die Erwartungen der Wirtschaft vermittelt würden. Gut vor- und nachbereitete Schulpraktika, Patenschaften und der Einsatz von Praktikern im Unterricht können diesem Ziel dienen („Schüler in die Betriebe, Praktiker in die Schulen“).
Diese Schritte seien zwar wichtig; mit ihnen sei das Rennen aber noch nicht gewonnen.

Mehr Gestaltungskompetenz für die Schulen

Hinzu kommen müssen nach Auffassung der IHK organisatorische Reformen im Schulsystem. Eine dauerhafte und kontinuierliche Verbesserung der Qualität sei in dem notwendigen Maß nur zu erreichen, wenn die Politik den Schulen mehr Autonomie und Gestaltungsfreiheit gebe und sie in Wettbewerb miteinander bringe. „Die Schulen“, so Schneider, „ müssen in die Lage versetzt werden, sich wie mittelständische Dienstleistungsunternehmen zu verhalten. Der Wettbewerb ist auch bei der Produktion des Gutes „Bildung“ das beste Entdeckungsverfahren und der sicherste Weg zu mehr Qualität und Effizienz.“

Die Schulträger müssten ihren Schulen (noch) mehr Finanzautonomie übertragen, das Land müsse ihnen mehr Personalautonomie geben. Ein Schulleiter müsse mehr Einfluss darauf haben, welche Lehrer an seiner Schule eingestellt werden! Einen ersten Versuch in Richtung Personalautonomie habe das Land Niedersachsen gerade gestartet. Dieser Versuch sei zwar noch halbherzig und sehr begrenzt, aber immerhin ein Anfang. „Das Saarland sollte diese Herausforderung annehmen“, so Schneider, „ und eine Vorreiterrolle übernehmen.“

Die vollständigen Ergebnisse der Studie mit zahlreichen Schaubildern finden Sie hier.