'Wettbewerbsfähige Unternehmen, beschäftigungslose Arbeitnehmer - warum kommt der Arbeitsmarkt nicht in Gang?'
15.10.1997
Der Vorstand des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT)
hat in seiner Sitzung am 11. September 1997 in Kassel ein
Positionspapier zu 'Wettbewerbsfähige Unternehmen,
beschäftigungslose Arbeitnehmer - warum kommt der Arbeitsmarkt
nicht in Gang?' beschlossen. Der Wortlaut ist bei der IHK,
Abteilung Information und Kommunikation, Telefon 06 81/95 20 - 3
01 erhältlich oder im Internet-Angebot der IHK Saarland
einzusehen.
Die aktuelle Wirtschaftslage zeigt: Die deutschen Unternehmen sind wieder wettbewerbsfähig geworden. Der Exportboom ist ein deutlicher Beweis. Hoffnungen
sind bisher aber enttäuscht worden, der Exportboom bringe
Anstöße für den Arbeitsmarkt. Hat das klassische Konjunkturrezept
- Export schafft Arbeitsplätze - keine Heilkraft mehr?
Warum kommt der Arbeitsmarkt nicht in Gang?
Die Arbeitsmarktmisere ist Folge nicht konjunktureller,
sondern überwiegend struktureller Fehlentwicklungen über viele
Jahre hinweg - Entwicklungen, die zu überdurch-schnittlich hohen
Arbeitskosten, zu einer verzerrten Lohnstruktur und zu einer
mangelhaften Flexibilität des Arbeitsmarktes geführt haben. Diese
unbefriedigenden Rahmenbedingungen erschweren nicht nur die
Beschäftigungszunahme in bestehenden Unternehmen, sondern auch
die Schaffung von Arbeitsplätzen durch Existenzgründungen.
Unternehmen reagieren auf steigende Arbeitskosten
Die Unternehmen mußten daher in den letzten Jahren vor allem
nach Wegen suchen, international wieder wettbewerbsfähig zu
werden. Deshalb haben die Unternehmen im Rahmen ihrer
betrieblichen Entscheidungskompetenz zu solchen Maßnahmen
gegriffen, die schon bald Erfolg versprachen: Rationalisierung,
Umstrukturierung und Produktinnovation.
Die Folge sind Entlassungen bei gleichzeitigen
Produktivitätsgewinnen. So kann das hohe Lohnniveau von den
Unternehmen erwirtschaftet werden. Zu diesen Maßnahmen gehören
aber auch der verstärkte Import von Vorprodukten, die
Verringerung der Fertigungstiefe im Inland und die
Produktionsverlagerung ins Ausland. Das alles sind Maßnahmen, die
letztlich erklären, warum vom Exportboom diesmal so wenig
Beschäftigungsanstöße ausgehen.
Inzwischen zeigen auch die Tarifparteien, daß sie die
Notwendigkeit von Anpassungsreaktionen erkannt haben. Seit 1996
ist eine moderate Entwicklung bei den Tarifabschlüssen zu
beobachten.
Politik reagiert langsamer als Unternehmen
Die Entscheidungsgeschwindigkeit der Politik dagegen ist
weiterhin gering. Über viele Jahre hinweg ist es der Politik
nicht gelungen, die notwendigen Strukturreformen durchzuziehen.
Es gibt zwar ein 'Programm für Wachstum und Beschäftigung'. Doch
seine Einzelmaßnahmen wurden nur langsam und in großem zeitlichem
Abstand umgesetzt. Das war zu wenig für eine Trendwende am
Arbeitsmarkt.
Politik für mehr Beschäftigung - Forderungen des DIHT
Es muß jetzt gelingen, der Export- und Konjunkturbelebung auch
eine Belebung am Arbeitsmarkt folgen zu lassen. Dazu zeigt der
DIHT auf, was jetzt unverzüglich von den Tarifparteien und von
der Politik zu tun ist:
· Die Lohnzurückhaltung muß über einen längeren Zeitraum fortgesetzt werden. Die Unternehmen müssen eine verläßliche Perspektive dafür bekommen, daß neue
Arbeitsplätze für sie mittelfristig finanzierbar bleiben.
· Eine Zurückhaltung bei den Tariflöhnen schafft Spielraum für
eine stärkere Differenzierung bei den Effektivlöhnen. Die
Tarifparteien müssen in verschiedenen Branchen und Regionen sowie
für unterschiedliche Qualifikationen marktgerechte Löhne
ermöglichen. Ein wichtiger Bestandteil einer differenzierten
Lohnstruktur sind Tarife für weniger qualifizierte Arbeit.
· Die Flexibilisierung des Kündigungsschutzes muß fortgesetzt
werden. Einen wesentlichen Anteil an der Verkrustung des
Arbeitsmarktes haben auch die Entscheidungen vieler
Arbeitsgerichte. Diese begünstigen einseitig die
Arbeitsplatzinhaber gegenüber den Arbeitsplatzsuchenden.
· Die Tarifparteien müssen innovative Lösungen zu weiteren
Flexibilisierung der Arbeitszeit finden. Die gesetzlichen
Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeitregelungen sind zu
verbessern. Kollektive Arbeitszeitverkürzungen wären hingegen der
falsche Weg.
· Zur Senkung der Arbeitskosten sind Einsparungen im
Sozialbereich unerläßlich. Entsprechende Reformen darf die
Politik nicht weiter hinausschieben. Niedrigere Lohnzusatzkosten
sind Voraussetzung dafür, daß neue Arbeitsplätze in Deutschland
entstehen können. Von Beschäftigungsprogrammen auf europäischer
Ebene erwartet der DIHT keine Lösung.
· Die Initiativen für den Arbeitsmarkt blieben in ihrer
Wirkung begrenzt, würden sie nicht endlich durch die lang
angekündigte Steuerreform unterstützt. Die Entlastungsperspektive
dieser Reform darf nicht durch wahltaktische Entscheidungen
zunichte gemacht werden.
Arbeitslosigkeit ist kein unabänderliches Schicksal
Es wäre eine Illusion zu glauben, die Halbierung der Arbeitslosigkeit ließe sich über Nacht erreichen. Vielmehr ist ein langer Atem notwendig, um spürbare Beschäftigungsgewinne zu erzielen. Erfolge in anderen Ländern zeigen aber, daß hohe Arbeitslosigkeit kein unabänderliches Schicksal ist, wenn Politik und Tarifparteien zu tiefgreifenden Reformen bereit sind.