Zeitarbeit: Risiken durch Tarifdiktat
Von Volker Giersch
Kommentar
01.03.2003
Ein beträchtlicher Teil dieser Arbeitsplätze könnte bald nachhaltig verloren gehen. Dann nämlich, wenn sich Zeitarbeit hierzulande wesentlich verteuert. Das Risiko ist groß. Denn die Bundesregierung hat in ihrem Gesetz zur Neuordnung der Zeitarbeit ein tückisches Gebot verankert. Es heißt „equal treatment“ und schreibt vor, dass Leiharbeitern ab Januar nächsten Jahres die gleichen Lohn- und Arbeitsbedingungen zu gewähren sind wie Stamm-Arbeitnehmern im Entleihbetrieb. Dies bereits ab dem ersten Arbeitstag. Ausnahmen von diesem Gebot sind nur durch Tarifvertrag oder in den ersten sechs Wochen der Beschäftigung vormals Arbeitsloser möglich.
Zurzeit werden Zeitarbeiter ganz überwiegend ohne tarifvertragliche Grundlage beschäftigt. Ihre Bezahlung liegt im Durchschnitt um gut 20 Prozent unter den Tariflöhnen für vergleichbare Stamm-Mitarbeiter. Bei Zeitarbeitern, die über keine Berufsausbildung verfügen, ist der Abstand noch deutlich größer. Und das ist gut so – auch für die betroffenen Arbeitnehmer. Denn die Lohnabschläge machen es möglich, geringqualifizierte Arbeitnehmer im ersten Arbeitsmarkt zu beschäftigen, die ansonsten arbeitslos wären. Zeitarbeit trägt auf diese Weise dazu bei, die strukturelle Arbeitslosigkeit zu mindern.
Lohnangleichung...
Unter den Bedingungen von „equal treatment“ würden
Zeitarbeiter künftig weit mehr kosten als ähnlich qualifizierte
Arbeitnehmer aus den Stammbelegschaften. Denn zu den Bruttolöhnen
kommen Aufschläge in der Größenordnung von rund 100 Prozent, die
die Zeitarbeitsunternehmen für Lohnnebenkosten, für die
Lohnzahlung in verleihfreien Zeiten und für Vermittlungs- und
Verwaltungsaufwand kalkulieren müssen. Nach einhelliger
Einschätzung der Zeitarbeitsunternehmen, die in unserem IHK-Forum
„Personaldienstleister“ mitwirken, würden bei Anwendung von „
equal treatment“ weit mehr als zwei Drittel der Leiharbeiter
arbeitslos werden. Im Saarland wären das immerhin zwischen 3.000
und 4.000 Arbeitslose zusätzlich.
Faktisch wirkt sich „equal treatment“ wie ein gesetzlich
verankertes Tarifdiktat aus. Es zwingt die
Zeitarbeitsunternehmen, das kleinere von zwei Übeln – den
Abschluss von Tarifverträgen – zu wählen. Entsprechend schwach
ist die Position der Branche in den anstehenden
Tarifverhandlungen. Im Ergebnis ist das neue Gesetz – wie die
Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes zuvor – ein weiterer
Schritt hin zur nachhaltigen Stärkung der Gewerkschaftsmacht ist.
Als gäbe es hier ein Defizit.
... gefährdet zahlreiche Arbeitsplätze
Wie viel Zeitarbeit sich künftig noch rechnen wird, hängt entscheidend von den Tarifabschlüssen für die Branche ab. Liegen sie zwischen 20 bis 30 Prozent unter dem durchschnittlichen Tarif-Niveau, dann bleibt Zeitarbeit attraktiv. Fällt der Abstand deutlich geringer aus, dann wird es unweigerlich zum Abbau von Beschäftigung kommen. Und danach sieht es aus.
Mit dem Ziel, möglichst viele Zeitarbeiter als Mitglieder zu gewinnen, kämpfen die Gewerkschaften derzeit mit Vehemenz für eine weitgehende Angleichung der Leiharbeiterlöhne an die höheren Löhne der Stammbelegschaften. Der Branche droht also ein kräftiger Kostenschub.
Positiv wird sich zwar auswirken, dass die Bundesregierung restriktive Regelungen gestrichen hat, die die Zeitarbeit in Deutschland bislang begrenzten (z. B. Synchronisationsverbot, Befristungsverbot und Wiedereinstellungsverbot). Doch werden die Vorteile dieser Liberalisierung die Folgen einer nachhaltigen Verteuerung der Zeitarbeit kaum kompensieren können.
Bescheidene Chancen durch PSAs
Zum Thema Zeitarbeit gehört auch die Einrichtung der sogenannten Personal-Service-Agenturen (PSA). Allerdings zielt dieses Herzstück des Hartz-Konzeptes weniger auf die dauerhafte Ausleihung von Arbeitskräften als auf eine schnellere Eingliederung von Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt. Arbeitslose sollen als PSA-Mitarbeiter die Möglichkeit erhalten, sich über Zeitarbeit bei den Entleihfirmen einzuarbeiten, um dann den Sprung in die Stammbelegschaften zu schaffen.
Dieses Modul des Hartz-Konzepts wird zurzeit umgesetzt. Die Arbeitsämter ermitteln in diesen Wochen per Ausschreibung, welche Unternehmen interessiert sind, die Funktion einer PSA zu übernehmen. Die Partner müssen dazu eine eigene Firma gründen und sich per Vertrag verpflichten, eine bestimmte Anzahl von Arbeitslosen für mindestens ein Jahr einzustellen. Auf diese Weise sollen im Saarland im laufenden Jahr 450 Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden. Je Arbeitslosen gewährt die Arbeitsverwaltung den PSAs dazu einen beträchtlichen finanziellen Zuschuss.
450 Vermittlungen – das ist freilich nur der Bruttoeffekt. Gegenzurechnen sind negative Effekte an anderer Stelle. Denn die PSA-Förderung geht finanzielle zu Lasten der bisherigen Instrumente der Arbeitsmarktförderung – wohl auch zu Lasten jener, die sich bisher als erfolgreich erwiesen haben (z. B. Eingliederungszuschüsse, Qualifizierung). Zudem dürften die PSA-Mitarbeiter in vielen Fällen andere Zeitarbeiter oder Stamm-Mitarbeiter verdrängen. Der Nettoeffekt wird deshalb eher bescheiden sein.
Fazit: Wenn wir im Saarland Modellland für die Umsetzung von Hartz werden wollen, dann müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Tarifkonditionen für Zeitarbeit auch in Zukunft deutlich unter denjenigen für Stammbelegschaften liegen. Darauf haben IHK, VSU und HWK in der Saar-Gemeinschaftsinitiative mit Nachdruck hingewiesen. Ansonsten müssen wir damit rechnen, dass die negativen Effekte bei der Leiharbeit weitaus größer sein werden als die positiven aus den übrigen Hartz-Modulen. Werben wir in diesem Sinne für wirtschaftliche Vernunft an der Tariffront – nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in den kommenden Jahren.